Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 1/23 | Geschrieben von Dittmar Graf

Wissenschaftsskepsis und ihre Ursachen

Wie wir Vertrauen in Forschung stärken und Fehlinformationen entgegenwirken können

Wir leben in unsicheren Zeiten. Wer würde das bestreiten wollen. 
Logisches, kohärentes Denken ist anscheinend aus der Mode gekommen und seine Sinnhaftigkeit wird von vielen Seiten angezweifelt. Dies zeigen die Erhebungen zur Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Wissenschaft und Forschung immer wieder. Welche Folgen diese Zweifel haben können und welche 
Rolle der Bildung bei der Bekämpfung der Zweifel zukommt, 
soll in diesem Beitrag näher betrachtet werden.

Vor allem die Wissenschaft als angewandte Rationalität sieht sich zunehmend Kritik bis hin zum blanken Hass ausgesetzt. Das wurde insbesondere im Zuge der Corona-Pandemie augenfällig, als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die Daten und Forschungsergebnisse zu Covid-19 veröffentlichten, diskreditiert, angefeindet, oder gar mit dem Tode bedroht wurden. Die beiden bedeutendsten Wissenschaftsmagazine Nature und Science haben Forscherinnen und Forscher befragt, die sich zu Covid-19 öffentlich geäußert haben. In der Umfrage von Nature1 gaben mehr als zwei Drittel derjenigen, die geantwortet haben, an, negative Erfahrungen gemacht zu haben, 22% hatten Drohungen mit physischer oder sexueller Gewalt erhalten. In der Science-Studie2 haben 38% derjenigen, die geantwortet haben an, mindestens eine Form von Belästigung erlebt. Am häufigsten wurden persönliche Beleidigungen und Angriffe auf ihre Kompetenz oder Integrität angegeben.

Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Wissenschaft und Forschung

Bei regelmäßig in Deutschland durchgeführten Erhebungen zur Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Wissenschaft und Forschung zeigt sich beständig,3 dass nur weniger als zwei Drittel der Befragten eher oder voll und ganz der Wissenschaft und Forschung vertrauen. Im letzten Jahr waren es 62 Prozent. 29 Prozent zeigen sich unentschieden, während acht Prozent angeben, (eher) kein Vertrauen in Wissenschaft und Forschung zu haben. Damit ähneln die Ergebnisse von 2022 denen der beiden vorangegangenen Erhebungen im Herbst 2021 und 2020. Das sind ernüchternde Zahlen. Es ist selbstverständlich von großer Bedeutung, dass Forschende und wissenschaftliche Ergebnisse einer kritischen Analyse unterzogen werden können. Allerdings ist es befremdlich und besorgniserregend, wenn Menschen der Wissenschaft misstrauen und z.B. einem selbsternannten Experten ohne nachgewiesene Fachkompetenz Glauben schenken, der sich brüstet, einfache Antworten auf alle Fragen zu haben. Dieses Phänomen war während der Coronapandemie leider oft zu beobachten.

Für Wissenschaftsskepsis werden verschiedene Ursachen diskutiert, die zum Teil alt sind, zum Teil aber erst in den letzten Jahren Bedeutung gewonnen haben:

– Wissenschaftsskepsis kann einem generellen Misstrauen gegenüber Autoritäten und etablierten Institutionen entspringen. Menschen, die solche Ansichten vertreten, könnten die wissenschaftliche Gemeinschaft als Teil des ‘Establishments’ betrachten.
– Wenn Menschen den wissenschaftlichen Prozess oder die zugrunde liegenden Prinzipien nicht verstehen, kann dies dazu führen, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse als unsicher, wenig glaubwürdig oder relevant erachten.
– Menschen neigen dazu, solche Informationen zu bevorzugen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen und diejenigen Informationen abzulehnen, die diesen widersprechen.
– Angst oder Unsicherheit können dazu führen, dass Menschen wissenschaftlichen Erkenntnissen skeptisch gegenüberstehen.
– Menschen, die starke ideologische oder religiöse Überzeugungen haben, könnten diejenigen wissenschaftlichen Erkenntnisse ablehnen, die ihren Ansichten widersprechen.
– Der rasante Fortschritt und die zunehmende Komplexität und Unübersichtlichkeit der Welt können dazu führen, dass Menschen nach einfachen, nichtwissenschaftlichen Erklärungen suchen.
– Ein wiederkehrendes Phänomen sind großangelegte Kampagnen, die nur darauf abzielen, fundierte wissenschaftliche Ergebnisse anzuzweifeln oder zu leugnen. Beispiele hierfür sind die Klimawandelleugnung oder Debatten über Schädlichkeit des Rauchens. Beispielsweise unternahm die Tabakindustrie über Jahrzehnte hinweg gezielte Anstrengungen, um wissenschaftliche Erkenntnisse über die gesundheitlichen Risiken des Rauchens in Frage zu stellen.4
– Filterblasen können zur Wissen­schaftsfeindlichkeit beitragen. Sie entstehen durch Algorithmen in den sogenannten sozialen Medien und führen dazu, dass Menschen hauptsächlich Informationen und Meinungen ausgesetzt sind, die ihren bestehenden Überzeugungen entsprechen.
– In den Medien erhalten gelegentlich marginale oder unbegründete Meinungen dasselbe Gewicht wie die fundierten Ansichten von Expertinnen und Experten, um reißerische und kontroverse Diskussionen zu befördern.

Bildung als Motor der Veränderung

Wie können die Vorbehalte gegenüber der Wissenschaft verringert werden? Bei Erwachsenen sind die Einstellungen häufig fest verankert, so dass tiefgreifende Veränderungen schwer zu erreichen sind. Dennoch können Aufklärungskampagnen und Informationsangebote dazu beitragen, das Verständnis für wissenschaftliche Zusammenhänge zu fördern und rationale Argumente zu stärken.

Um jedoch langfristig und nachhaltig Veränderungen herbeizuführen, kommt der Bildung eine entscheidende Rolle zu. Die Schule ist die Institution, die alle zukünftigen Erwachsenen und Entscheidungsträger durchlaufen müssen, was die Möglichkeit eröffnet, frühzeitig die Akzeptanz der Wissenschaften zu fördern. Tatsächlich wurden bereits vor fast 20 Jahren von der Kultusministerkonferenz deutliche Änderungen in den Vorgaben für Lehrpläne der Bundesländer vorgenommen. Das bis damals vorherrschende Primat der Inhalte wurde durch vier gleichberechtigte Säulen ersetzt, auf denen naturwissenschaftliche Kompetenz basieren soll. Neben dem Fachwissen sind dies die Bereiche ‘Bewertung’, ‘Kommunikation’ und ‘Er­kenntnisgewinnung’. Letzterer ist in unserem Kontext von besonderem Interesse, da er sich auf die Art und Weise bezieht, wie in den Wissen­schaften Erkenntnisse gewonnen werden, also auf die wissenschaftlich anerkannten Methoden. Schließlich kann man eine Erkenntnis nur dann als wissenschaftlich betrachten, wenn sie auf validen und nachvollziehbaren Untersuchungsmethoden basiert. Obwohl die Einführung dieser Veränderungen bereits fast 20 Jahre zurückliegt und seitdem sowohl die Umsetzung im Unterricht erforscht als auch spezielle Unterrichtsarrangements entwickelt werden, lässt sich bis heute kein durchschlagender Bildungserfolg im Hinblick auf den Kompetenzbereich ‘Erkenntnisgewinnung’ feststellen. Dies zeigt, dass trotz der Bemühungen um eine Verbesserung des Unterrichts in diesem Bereich noch immer Heraus­forderungen bestehen, die angegangen werden müssen. Aus meiner Sicht spielen drei Aspekte eine entscheidende Rolle:

1. Der Erkenntnisgewinnungsprozess wird oft wie ein Kochrezept als Abfolge festgelegter Arbeitsschritte präsentiert: Dieser Ansatz kann dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler denken, wissenschaftliche Forschung sei ein starres, lineares Verfahren, das wenig Raum für Flexibilität und Anpassung an unterschiedliche Forschungskontexte lässt. In Wirklichkeit ist der wissenschaftliche Prozess oft dynamisch und erfordert kreatives Denken sowie die Fähigkeit, Hypothesen und Methoden an veränderte Bedingungen anzupassen. Der Ausdruck „Wir irren uns empor“ verdeutlicht in passender Art und Weise, dass Wissenschaft auch durch das kontinuierliche Lernen aus Fehlern und Irrtümern voranschreitet und dass dieser Prozess ein wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung ist.

2. Insbesondere für Untersuchungen mit Menschen wichtige methodische Ergänzungen kommen im Unterricht so gut wie überhaupt nicht vor: Die ethischen und methodischen Aspekte, die bei der Arbeit mit menschlichen Probanden eine Rolle spielen, sind für das Verständnis von wissenschaftlicher Forschung unerlässlich. Dazu gehören beispielsweise die informierte Einwilligung, die Anonymisierung von Daten, der Umgang mit sensiblen Informationen und die Anwendung von Verblindungsverfahren. Letzteres ist eine notwendige Methode, um Verzerrungen in der Forschung zu reduzieren, indem die Erwartungen der Forschenden und/oder der Probanden kontrolliert werden. Dies kann beispielsweise durch den Einsatz von Placebos in klinischen Studien oder die verdeckte Beobachtung von Teil­nehmern erreicht werden.

Die Vernachlässigung dieser Aspekte im Unterricht kann dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler ein unvollständiges Bild von wissenschaftlicher Forschung und den damit verbundenen ethischen Verantwortlichkeiten erhalten.

3. Es werden nur Positivbeispiele für wissenschaftliche Aussagen und Theorien verwendet; Negativbeispiele als didaktisches Hilfsmittel zur Ab­grenzung von Parawissenschaften werden nicht erwähnt: Indem nur Positiv­beispiele eingesetzt werden, entsteht möglicherweise der falsche Eindruck, dass alle wissenschaftlichen Arbeiten und Erkenntnisse gleichermaßen valide sind. Negativbeispiele können jedoch dazu beitragen, Schülerinnen und Schüler für die Unterscheidung zwischen seriöser Wissenschaft und Pseudowissenschaft oder Parawissen­schaften zu sensibilisieren. Dies hilft ihnen, kritisch zu hinterfragen und Fehlinformationen oder unglaubwürdige Quellen zu erkennen. Dabei geht es nicht darum, „etwas Falsches zu unterrichten“, sondern vielmehr darum, den Schülerinnen und Schülern ein differenziertes Verständnis von Wissenschaft und ihren Grenzen zu vermitteln.

Fazit

Die konsequente Umsetzung dieser er-
weiterten Gesichtspunkte im Bereich ‘Erkenntnisgewinnung’ im Rahmen des schulischen Unterrichts kann zwar nicht alle Probleme mit der Wissen­schaftsakzeptanz lösen, jedoch kann sie einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung darstellen. Durch eine verbesserte und umfassendere Vermittlung des wissenschaftlichen Prozesses kön­nen die zukünftigen Erwachsenen besser auf die Herausforderungen einer zunehmend komplexen und informationsüberfluteten Welt vorbereitet werden und lernen, wissenschaftliche Erkenntnisse angemessen zu bewerten und Fehl­informationen eher zu erkennen.

Anmerkungen

1 Nogrady, Bianca: ‘I hope you die’: how the COVID pandemic unleashed attacks on scientists. In: Nature 598/2021, S. 250-253.
2 McNutt, Marcia; Hildebrand, John: Scientists in the line of fire. In: Science 375/2022, 
S. 1071.
3 Wissenschaft im Dialog (Hrsg.): Wissen­schaftsbarometer. Quelle: https://www.wissenschaft-im-dialog.de/fileadmin/user_upload/Projekte/Wissenschaftsbarometer/Dokumente_22/WiD-Wissenschaftsbarometer2022_Broschuere_web.pdf (Letzter Zugriff: 1.4.2023).
4 Oreskes, Naomi / Conway, Erik M.: Merchants of doubt. How a handful of scientists obscured the truth on issues from tobacco smoke to global warming. New York 2019.