Seit vielen Jahren ist die Abschaffung der sogenannten Staatsleistungen eine zentrale Forderung säkularer Organisationen in Deutschland. Der Betrag, der an Staatsleistungen jährlich von der öffentlichen Hand an die beiden christlichen Großkirchen fließt, liegt derzeit bei mehr als 500 Millionen Euro. Diese Zahlungen haben nichts mit der Kirchensteuer zu tun und auch nichts mit der öffentlichen Förderung von sozialen Einrichtungen in christlicher Trägerschaft wie Krankenhäusern, Altenheimen oder Kindergärten. Die Staatsleistungen werden ohne jegliche Zweckbindung aus allgemeinen Steuergeldern vom Staat an die Kirchen gezahlt. Sie gehen zurück auf historische Vereinbarungen, die vor über zweihundert Jahren getroffen wurden, um die Kirchen für die Folgen der damaligen Säkularisation zu entschädigen.
Nachdem diese Entschädigungszahlungen Anfang des 20. Jahrhunderts bereits über hundert Jahre lang umfangreich stattgefunden hatten, legte der Gesetzgeber in Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung 1919 fest:
„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staats
leistungen an die Religionsgesellschaf
ten werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Artikel 138 wurde 1949 in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Seit über 100 Jahren besteht nun also bereits der Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, ohne dass etwas geschehen wäre. Vereinzelt gab es in der Politik Vorstöße, das Problem anzugehen, doch nie gab es Mehrheiten. Gern wurde auch versucht, den Schwarzen Peter zwischen Bund und Ländern hin- und herzuschieben. Denn die Staatsleistungen werden von den Ländern an die Kirchen gezahlt und nur Landesgesetzgebungen könnten über deren Ablösung bestimmen. Den Ländern jedoch sind – selbst wenn sie eine solche Gesetzgebung auf den Weg bringen wollten – die Hände gebunden, da die Grundsätze für die länderspezifischen Gesetze zunächst vom Bund aufgestellt werden müssen.
An genau dieser Stelle setzt der am 13. März von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellte Gesetzentwurf an. Es handelt sich dabei um den „Entwurf eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen“. Der Ge setzentwurf sieht vor, dass die Staatsleistungen durch Zahlung von Ablöseleistungen abgelöst werden. Diese Ablöseleistungen sollten sich am sogenannten Äquivalenzprinzip orientieren und damit als maximale Höhe das 18,6-fache der jährlich zu leistenden Zahlungen im Jahr 2020 betragen, die mit 569 Millionen Euro zu veranschlagen sind. Hieraus ergäbe sich eine maximale Ablöseleistung von gut 10 Milliarden Euro, die durch einmalige Zahlung, Ratenzahlung oder – durch Verhandlung und Vertrag mit den Kirchen – auch in anderer Form als durch Geldleistungen, also beispielsweise durch das Überschreiben von Grundstücken oder Gebäuden, erbracht werden kann.
Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, dass die Länder innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Grundsätzegesetzes eine geeignete Landesgesetzgebung zur Ablösung der Staatsleistungen zu erlassen haben, und dass innerhalb von zwanzig Jahren nach Inkrafttreten des Grundsätzegesetzes die Ablösung abgeschlossen sein muss. Während dieser Zeit fließen neben der Ablösesumme die Staatsleistungen weiter. Dies sei, so die Begründung der Parteien, notwendig, da die Staatsleistungen Pachtersatzzahlungen im weitesten Sinne seien, und deshalb bis zur vollständigen Ablösung weiter an die Kirchen gezahlt werden müssten. Da die Staatsleistungen jährliche Anpassungen nach oben erfahren, bedeutet dies nach Berechnungen des Humanistischen Pressedienstes innerhalb der kommenden 20 Jahre weitere 10 bis 15 Milliarden Euro an Staatsleistungen neben der Ablösesumme von gut 10 Milliarden Euro. Bisher an die Kirchen gezahlte Staatsleistungen sollen laut Gesetzentwurf ausdrücklich keine Berücksichtigung finden.
Interne Papiere der Parteien zeigen, dass über die Ablösemodalitäten mit den Kirchen Gespräche geführt wurden. Einige Stimmen behaupten unter vorgehaltener Hand gar, der Gesetzentwurf sei mit den Kirchen abgestimmt. In der Tat ist auffällig, dass nach der Vorstellung des Gesetzentwurfs aus kirchlichen Reihen keine Kritik zu vernehmen war. Tatsächlich hatten Kirchenvertreter in den vergangenen Jahren bereits mehrfach signalisiert, dass sich die Kirchen einer Ablösung der Staatsleistungen nicht grundsätzlich verschließen – solange die Ablösesumme hoch genug sei. Die Diskussion um die Höhe der Ablösesumme hat wohl auch bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs für einige Diskussionen gesorgt. So forderte Die Linke als Ablösesumme beispielsweise lediglich eine Einmalzahlung in Höhe des Zehnfachen der jährlichen Staatsleistungen. Für ihren Gesetzentwurf einigten sich die beteiligten Parteien schließlich auf den Faktor 18,6 als kleinsten gemeinsamen Nenner, da man diesen als rechtssicher betrachtet.
Die nun vorgesehene Ablösesumme ist auch für die säkularen Organisationen der Stein des Anstoßes. Jahrelang hatten sie darauf verwiesen, dass die Kirchen im Prinzip seit über hundert Jahren ‘überzahlt’ wurden, weil der Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen seit hundert Jahren vom Gesetzgeber missachtet wurde. „Ein ernstzunehmender Anlauf zur Ablösung der Staatsleistungen und zur Erfüllung des Verfassungsauftrags war schon lange überfällig“, erklärt Johann-Albrecht Haupt, Sprecher vom partei- und organisationsübergreifenden Bündnis Altrechtliche Staatsleistungen Abschaffen (BAStA) in einer Pressemitteilung. Der von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vorgestellte Gesetzentwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen sei jedoch „meilenweit entfernt von einer gerechten Lösung“. Auch Ralf Keller (Junge Liberale), Michael Janitzki (LAG Laizismus Die Linke Hessen) und Diana Siebert (Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne) vom BAStA-Bündnis kritisieren die im Gesetzentwurf vorgesehene Ablöseregelung. Der übergroßen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger seien die Staatsleistungen an die Kirchen nicht mehr vermittelbar. Deshalb müsse der Bund „ein Signal an die Bundesländer senden, dass die Landesregierungen die in Aussicht gestellten Verhandlungen über Senkung der Beträge hart führen dürfen“.
Interessant wird nun sein, wie sich die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD zu dem Gesetzentwurf der Oppositionsparteien FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen verhalten. Letztere halten ihren Entwurf für „potentiell mehrheitsfähig“. Ob sie damit Recht behalten, wird sich zeigen. Wann ist allerdings fraglich. Ursprünglich sollte die erste Lesung des Gesetzentwurfs in der letzten Sitzungswoche im März 2020 erfolgen. Doch die Corona-Pandemie hat den parlamentarischen Geschäftsplan ziemlich durcheinander gebracht. Sollte der Gesetzentwurf demnächst im Parlament doch noch diskutiert werden und auf Zustimmung der Regierungsparteien treffen, könnten die Dinge allerdings schnell gehen, da das Gesetz laut den religionspoltischen Sprecher*innen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen im Bundesrat nicht zustimmungspflichig ist.