Warum hat ausgerechnet die christliche Partei im bevölkerungsreichsten Bundesland hinzugewonnen, wo doch die beiden großen Kirchen seit der letzten Landtagswahl eine Million Mitglieder verloren haben? Und warum haben ausgerechnet Konfessionsfreie besonders häufig auf ihr Wahlrecht verzichtet und überdurchschnittlich stark zum Rückgang der Wahlbeteiligung von 65 auf 55 Prozent beigetragen?
Zum Vergleich: Noch bei der Bundestagswahl 2021 hatten CDU und CSU bei Konfessionslosen nur 15 Prozent erreicht und damit fast zehn Punkte unter ihrem Gesamtresultat gelegen. Aber im Gegensatz zum erzkatholischen Amtsvorgänger Laschet hat CDU-Chef Wüst weltanschauliche Themen diesmal so weit wie möglich ausgeklammert und sich damit im Erscheinungsbild des nichtchristlichen oder religiös „unmusikalischen“ Teils der Wähler fast schon religionsneutral präsentiert. Damit schien er offensichtlich auch vielen Konfessionsfreien wählbar. Genau in dieser Gruppe legte die CDU laut der Forschungsgruppe Wahlen sowie dimap/infratest um genau 12 Punkte auf 33,9 Prozent zu. Da die Partei insgesamt aber nur um 2,8 auf 35,7 Prozent zunahm, heißt dies: Ohne diesen Zuwachs hätte sie sogar geringfügig abgenommen.
Dafür sind aber auch die anderen Parteien mitverantwortlich, die es versäumten, ihr säkulares Profil zu schärfen. Weltanschauliche Themen hätte es gerade in NRW genug gegeben. Dort gibt es z.B. noch immer staatliche Bekenntnisschulen, die die Aufnahme nichtkatholischer Schüler oder Lehrer ablehnen können. Selbst in Bayern wurde diese staatsklerikale Schulform schon vor über einem halben Jahrhundert durch einen Volksentscheid abgeschafft. In NRW war dies kaum ein Thema. Auch das zweifelhafte Wirken von Kardinal Woelki hätte Anlass sein können, die Staat-Kirche-Beziehungen auf den Prüfstand zu stellen. Da die CDU-Konkurrenten aber weitgehend schliefen und weltanschauliche Themen vernachlässigten, musste bei vielen nichtreligiösen Menschen der Eindruck entstehen, dass es zwischen den größeren Parteien kaum Unterschiede in der weltanschaulichen Einstellung gibt. Wen wundert es da, dass viele Nichtreligiöse auf ihre Stimmabgabe verzichteten oder in ihrer Frustration aussichtslose Kleinparteien wählten?
Gewiss, es gab Parteien, die unter den Konfessionsfreien besser abschnitten als insgesamt. Die Grünen lagen hier um einen Prozentpunkt über ihrem Gesamtergebnis, die FDP um 0,3 Punkte. Aber in der Vergangenheit hatten beide in dieser Wählergruppe wesentlich bessere Ergebnisse erzielt, diesmal verschenkten sie ein beträchtliches Stimmenpotential. (Das gilt auch für die Linke, die es allerdings auch dann nicht in den Landtag geschafft hätte.)
Von der SPD wollen wir hingegen gar nicht reden. Sie verfehlte bei Konfessionsfreien mit 26,2 % sogar ihr ohnehin schwaches Gesamtresultat um einen halben Prozentpunkt. Aber die will ja von Nichtgläubigen offenbar auch gar nicht gewählt werden ...