Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 2/18 | Geschrieben von Gerhard Rampp

Kreuze in staatlichen Gebäuden?

Seit dem 1. Juni 2018 sollen nach dem Willen der CSU im Eingangsbereich aller staatlicher Gebäuden ein Kreuz hängen, das damit erstmals seit 20 Jahren wieder öffentlicher Diskussionsgegenstand wurde. Anders als nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Schulkreuzen behaupten Söder und Konsorten nun, das Kreuz sei nicht als religiöses Zeichen, sondern wahlweise als Ausdruck der bayerischen Tradition, der bayerischen Grundwerte oder des bayerischen Lebensgefühls zu verstehen.

Das erklärt, dass diese Begründung bei kirchlichen Würdenträgern nicht auf Begeisterung, teilweise sogar auf Widerspruch stieß. Wenn allerdings z.B. Kardinal Marx die Aufhängung als Entleerung des religiösen Sinngehalts eines zentralen christlichen Symbols kritisiert, tut er das nicht aus Sorge um das Wohl der Nichtreligiösen. Vielmehr arbeitet er schon länger auf einen Schulterschluss mit den kleineren christlichen Religionsgemeinschaften sowie mit Juden und Muslimen hin, um wenigstens eine „Mehrheit der Religiösen“ noch so lange wie möglich zu retten.

Immerhin wird von christlicher Seite oft anerkannt, dass spezifisch religiöse Symbole in neutralen staatlichen Einrichtungen „eigentlich“ nichts zu suchen haben. Deutschlandweit lehnen auch die Hälfte der Katholiken und fast zwei Drittel der Protestanten den bayerischen Weg ab. In Bayern selbst sind zwar die Befürworter mit 56 zu 38 Prozent (noch) in der Überzahl, aber eine satte Mehrheit der Großstädter und der jüngeren Generation denkt anders. Gerade in Bayern liegen die (meist von jungen Leuten veranlassten) Kirchenaustritte seit Jahren über dem Bundesdurchschnitt.

Bayerische Tradition ... ?

Daher stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine traditionelle Verbindung von Kreuzen und Bayern gibt. Umfragen belegen konstant, dass Rheinland-Pfalz das frömmste Bundesland ist, gefolgt von Saarland, Baden-Württem­berg, NRW und erst dann Bayern. Übertrieben religiös waren die dortigen Einwohner auch in früheren Zeiten nicht. Der Begriff „Hokuspokus“ entstand dort in der ländlichen Bevölke­rung als das, was Nicht-Lateiner bei den Wandlungsworten „Hoc est corpus meum“ verstanden; von sehr viel Glaubenstreue zeugt eine solche Verballhornung jedenfalls nicht. Festtagsrituale sind indes im katholischen Bayern schon lange Tradition, egal ob es sich um Fronleichnams- oder Faschingsumzüge oder auch das Aschermittwochsderblecken handelt. Da hat für Ältere wohl auch das Kreuz noch seinen Platz, das aber z.B. im bayerischen Wappen nie zu finden war. Jedoch beruht das Verständnis von „Tradition“ ganz allgemein auf einem sehr einseitigen Geschichtsverständnis und auf dem fragwürdigen Wunsch, es möge so bleiben, wie es (angeblich) immer schon war. Tradition ist Kramen in der Vergangenheit – in vordemokratischen Epochen. Wer die zukunftweisenden Wurzeln unserer Gesellschaft ins Bewusstsein rufen möchte, muss sich auf die Aufklärung besinnen, die gerade mit der Regierungszeit von Graf Montgelas (1799–1816) eine Grundlage hat, auf die Bayern stolz sein könnte.

... mit christlicher Prägung ?

Der Historiker Michael Wolffsohn wies darauf hin, dass das Christentum erst im achten Jahrhundert nach Mitteleuropa eingeschleppt wurde, und zwar überwiegend gewaltsam. Die grausame Ermordung von 4000 Sachsen, die sich weigerten zum Christentum überzutreten, ist allgemein bekannt. Der verantwortliche Massenmörder Karl, dessen Beiname „der Große“ allenfalls wegen seiner mutmaßlichen Körperlänge von 1,92 m berechtigt ist, war entweder religiöser Fanatiker oder eiskalt kalkulierender Machtmensch. Eindeutig das erstere trifft auch auf einen irischen Missionar zu, der 732 genau das machte, was bei afghanischen Taliban vor wenigen Jahren weltweit einhellig verurteilt wurde: Er zerstörte demonstrativ das Heiligtum einer anderen Religion. Sprengten die einen ein riesiges Buddha-Heiligtum, fällte der christliche Selbstmordattentäter eine Donar-Eiche – und wurde seither als heiliger Bonifatius („Wohltäter“) geehrt. Der eigentliche Skandal liegt jedoch nicht im damaligen Handeln dieses Malefatius (der es nicht besser wusste und nur ein Kind seiner christlichen Kaderschmiede war), sondern dass er sogar heute noch als Heiliger und speziell in der Diözese Fulda unkritisch als Vorbild des Bistums verehrt wird.

Überdies vergessen die gleichzeitig völkisch und christlich orientierten CSU- und AfD-Anhänger, dass das Christentum eine durch und durch orientalische Religion ist, deren Vorläufer einer Nomadenreligion entstammten, welche sich erst relativ kurz vor dem Entstehen ihrer ersten schriftlichen Aufzeichnungen überhaupt von einer polytheistischen zu einer monotheistischen Religion gewandelt hatte. (Tatsächlich entwickelte sich der alttestamentarische Gott Jahwe aus einer Verschmelzung des nordsemitischen Regengotts Jahu mit dem südsemitischen Mondgott Jehova.)

Fazit

In einer pluralen, demokratischen Gesellschaft sollten Staats-Symbole eigentlich überflüssig sein. Dies gilt vor allem dann, wenn sich eine kleine Region spezielle „Werte“ herauspickt, die doch die gleichen in ganz Deutschland und Mitteleuropa sein müssten. Historisch betrachtet fällt die Grundlage für diese einseitige bayerische Traditionspflege in sich zusammen, mit demokratischer Kultur hat sie nichts zu tun.

Solche Symbole gar als verpflichtend anzuordnen ist mit großer Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Doch die juristischen Aspekte werden sich relativ bald klären. Eine Familie, Mitglied im Bund für Geistesfreiheit Augsburg, hatte nämlich schon zuvor gegen die Anbringung eines Kruzifixes im Eingangsbereich eines bayerischen Gymnasiums geklagt.

Nachtrag

In letzter Minute kamen offenbar auch Söders Leuten Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens. Nach­dem eine Nürnberger Museumsleiterin ankündigte, den Erlass nicht umzusetzen, gab es eine bemerkenswerte Einschränkung: Wegen der Wis­senschafts- und Kunstfreiheit findet der Erlass keine Anwendung in Universitäten, Theatern und Museen. Fragt sich nur, warum er dann nicht wegen der Weltanschauungsfreiheit auch in Schulen und sämtlichen Behörden gestrichen wird.