Prisma | Veröffentlicht in MIZ 2/24 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Alle gleich behandeln

Den Kirchen laufen die Mitglieder weg. Aber die säkularen Ver­bände, ganz gleich ob weltanschaulich oder politisch ausgerichtet, profitieren davon nicht. Obwohl die Zustimmung zu ihren ethischen Grundpositionen wie auch konkreten politischen Forderungen in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen ist, schlägt sich das nicht in einem größeren Mitgliederzuwachs nieder. Trotzdem spricht sich Gunnar Schedel, Mitglied im Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten dafür aus, am Konzept der Mitgliedschaft festzuhalten. (MIZ-Redaktion)

Als 2004 die Debatte um einen „Zen­tralrat der Konfessionsfreien in Deutschland“ erstmals Fahrt aufnahm, war die dahinterstehende Motivation nachvollziehbar: Die wachsende Zahl der Konfessionslosen sollte im politischen Raum besser repräsentiert werden und dadurch mehr Beachtung finden. Schnell kam damals die Frage auf, wie die Legitimationslücke geschlossen werden könnte: Warum sollten Verbände, die zusammengerechnet eine fünfstellige Zahl an Mitgliedern aufwiesen, für sich in Anspruch nehmen können, für die Millionen Konfessionlosen zu sprechen?

Immerhin ließ sich anführen, dass Konfessionslose „objektive“ Interessen hatten, beispielsweise nicht durch das kirchliche Arbeitsrecht diskriminiert zu werden. Und dafür setzten sich die Verbände seit je ein. Hinzu kam, dass in Umfragen deutliche Mehrheiten der Konfessionslosen den im weitesten Sinne humanistischen Gesellschaftsvorstellungen der Ver­bände zustimmten. Trotzdem fand ich das Konzept nicht überzeugend, da um etwas durchzusetzen, konkrete, „handfeste“ Unterstützung notwendig ist. Die schien mir durch eine bewusst eingegangene Mitgliedschaft eher ge­währleistet als durch statistische Zustimmung.
Die Debatte um „Zugehörigkeit“ kommt mir wie ein erneuter Versuch vor, humanistischen Anschauungen mehr Reichweite zu verschaffen, ohne das zugrundeliegende Problem wirklich zu lösen: unsere geringe Machtbasis. Der Begriff „Zugehörigkeit“ suggeriert ein Bindung, die möglicherweise gar nicht vorhanden ist. Wie ließe es sich operationalisieren, wann „Interesse“ an oder „Sympathie“ für humanistische Positionen in eine „Zugehörigkeit“ zur humanistischen Weltanschauung übergeht? Solange das nicht gelingt, wohnt dem Begriff ein Hauch von Willkür inne, was wiederum die Gefahr der Vereinnahmung birgt.
Ich habe in den vergangenen Jahr­zehnten Veranstaltungen der SPD, der Grünen, der Linken und der FDP bzw. von deren Stiftungen besucht, habe bei allen referiert und würde das gegebenenfalls auch wieder tun – trotzdem fühle ich mich keiner dieser Parteien „zugehörig“. Ich war an den Themen und am Austausch darüber interessiert, nicht auf der Suche nach Identität. Könnte es nicht sein, dass auch viele, die an Veranstaltungen humanistischer Organisation teilnehmen, nach Anregungen suchen und am Diskurs über die behandelten Fragen teilhaben möchten? Hieße es nicht, unsere Einflussmöglichkeiten zu überschätzen, wenn wir in all diesen Fällen „Zugehörigkeit“ annehmen würden? (Oder anders herum: Wie würden wir reagieren, wenn die katholische Kirche alle Menschen, die Sozialeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft nutzen, als der katholischen Kirche zugehörig reklamieren würden?)
Aber möglicherweise passt das Bei­spiel mit den Parteien nicht genau, weil politische Organisationen Menschen anders ansprechen als weltanschauliche Vereinigungen. Vielleicht drückt sich in der Wahrnehmung welt­anschaulicher Angebote eher Zu­gehörigkeit aus als in der Zustimmung zu einer politischen Position (die eine Partei oder ein politischer Ver­band vertritt). Ob dem so ist, weiß ich nicht. Aber wenn dem so wäre, hätten wir ein anderes Problem: Welt­anschauungsvereinigungen – und das heißt: nicht nur der Humanistische Verband, sondern auch alle erdenklichen Religionsgemeinschaften – würde dann eine größere Reichweite und Bedeutung zugestanden wie politischen Organisationen, etwa einer Partei oder dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).
Nun treffen Weltanschauungsver­einigungen jedoch auch politische oder gesellschaftliche Aussagen. Soll deren Positionen zukünftig mehr Gewicht haben, weil sie außer auf ihre Mitgliedschaft noch auf die „Zugehöri­gen“ verweisen können? Die konservativen Islamverbände verfolgen diese Strategie schon seit längerem. Sie verweisen (völlig zurecht) darauf, dass das Religionsrecht in Deutschland voll auf die beiden großen christlichen Kirchen zugeschnitten ist (was isla­mische Gemeinden benachteiligt, da der Islam eine Mitgliedschaft in der dort vorausgesetzten Form nicht kennt). Folgerichtig nehmen sie für sich in Anspruch, für „die Muslime“ zu sprechen, obwohl in den Moscheegemeinden nicht einmal ein Viertel der in Deutsch­land lebenden Muslime organisiert ist. Die Gleichberechtigung aller Weltanschauungsgemeinschaften mit den Kirchen brächte also als Kehrseite mit sich, dass diese dann im politischen Diskurs gegenüber allen anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren im Vorteil wären.
Alle, die Gesellschaft dauerhaft mitgestalten wollen, sollten dies auf der gleichen Grundlage tun können. Die Ungerechtigkeit des Religionsrechtes aus­zugleichen, ist richtig. Wenn dies in einer Weise geschähe, dass Weltan­schauungsgemeinschaften danach an­dere Voraussetzungen hätten als zivil­gesellschaftliche Akteure, wäre das kein Fortschritt.