Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kartellierten sich auch gesellschaftliche Verbände, so auch das 1909 geschaffene Kartell dissidentischer Vereine (1914 elf Mitglieder). Man formulierte zehn gemeinsame Ziele hinsichtlich der Staat-Kirche-Trennung und setzte, ohne eine Satzung zu haben, per Akklamation einen (rein männlichen) Vorstand ein. Das funktionierte nur durch allgemeine Akzeptanz des Vorsitzenden, besonders seiner intellektuellen Reputation.
Da leider die mit viel Mühe in der „Szene“ gefundenen Autoritäten jeweils plötzlich verstarben (Max Rieß, Arthur Pfungst) oder (wie der letzte Kompromisskandidat, Degussa-Chef Heinrich Roessler) konzeptionslos blieben, war das Kartell meist ohne Führung und politisch wenig handlungsfähig, gerade bei Kriegsausbruch 1914 und in der Novemberrevolution. Außerdem spalteten sich die Haltungen auch innerhalb der angeschlossenen Verbände selbst (so im Monistenbund), etwa hinsichtlich des Pazifismus oder der „Rassehygiene“.
Auch in den beschlossenen Kernpunkten taten sich große Differenzen auf, vor allem in der Religions- und Schulpolitik und in der Frage, ob man eine eigene humanitäre Praxis haben und Geld vom Staat nehmen sollte. Die einen setzten auf Reformfortschritte, andere aufs Grundsätzliche. Es waren dies die im Prinzip gleichen unvereinbaren Ziele, die auch heute die „Szene“ teilen. Aber wohl alle schlossen zu dieser Zeit aus, dass man „konfessionsfrei“ sein könne, also im damaligen Verständnis gesinnungslos.
Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 4/22 | Geschrieben von Horst Groschopp
Das Weimarer Kartell
Die Gründung des Weimarer Kartells setzte 1907 ein, vor allem auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur. Die Protagonisten folgten den Beispielen industrieller Wirtschaftszusammenschlüsse auf dem Wege zu Monopolbildungen, die in Deutschland und Europa seit 1870 stattfanden. Deren Kernverabredungen waren Absprachen über gemeinsames Marktverhalten.