Assunta Tammelleo ist Unternehmerin, Erste Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit (bfg) München und ein weibliches Urgestein in der säkularen
Szene Deutschlands.
MIZ: Frauen in aller Welt tragen religiöse Strukturen sehr stark mit (durch religiöse Kindererziehung etc.), obwohl sie selbst an der Macht innerhalb dieser Strukturen nicht teilhaben, von den meisten Religionen sogar als minderwertig betrachtet und unterdrückt werden. Warum werden Religionen Ihrer Meinung nach trotzdem so stark von Frauen mitgetragen?
Assunta Tammelleo: Also, ich bin keine Wissenschaftlerin, sondern aus der Fraktion der Spaßguerilla. Aus der ehedem aktiven Friedens-, Frauen- und schließlich säkularen Bewegung, seit fast 30 Jahren sehr rege politisch außerhalb der etablierten Parteien aktiv. Geprägt in einem Gastarbeiterhaushalt mit Migrantenhintergrund und Hartz-4-Perspektive. Aus meinem langjährigen Erfahrungsschatz in der humanistisch-säkular-gottlos-glücklich-undzufrieden-Bewegung scheint es für mich so, dass es sich auswirkt, dass Frauen immer noch anders erzogen werden als Männer. Wenn dieses besondere Geschlecht – vielleicht inzwischen deutlich indirekter als früher – auch heute noch so erzogen wird, dass letztlich dieses „Familie haben“, vielleicht „Kinder kriegen, erziehen, die Eltern durchs Greisenalter begleiten...“ für alle Frauen viel wichtiger sein muss, als alles andere, so lange hat das Auswirkungen insgesamt. Wenn öffentliches und innerfamiliäres Erziehungsprinzip für Mädels und Frauen ist, dies für sich so haben wollen zu sollen (und, Leute, trotz aller gegenteiligen Bekundungen, das ist noch immer so), dann ist eher verständlich, dass diese „niederen“, unzureichend bis kaum entlohnten und nicht besonders geachteten Tätigkeiten auf Dauer nur durch Aussicht auf Anerkennung, Entgelt etc. von jenseits der irdischen Dinge erträglich gemacht werden können.
MIZ: Kirchengemeinden strotzen vor aktiven Frauen und auch in Esoterikläden ist das Publikum meistens weiblich. Aktive Atheistinnen gibt es dagegen nur wenige. Haben Frauen eine besondere Affinität zum Religiösen oder wie erklären Sie sich diesen Sachverhalt?
Assunta Tammelleo: Als Nicht-Evolutionsbiologin kann ich nicht sagen, ob es eine besondere Affinität von Haus aus zu Religionen, Esoteriken etc. bei Frauen gibt. Aber tausende von Jahren Gesellschaftsleben haben diese Affinität sich vielleicht entwickeln lassen. Unter Umständen spielt auch eine Rolle, dass Anerkennung für Frauen auch heutzutage nicht so leicht zu erreichen ist, wenn sie beruflich, politisch, künstlerisch etc. keine entsprechende Position haben. Frau kann relativ leicht unabhängig und zugleich ein bisschen wichtig werden in einer bestimmten Position oder Rolle: als Mutter, Betreuerin, Pflegerin, Heilerin, Seherin, Hohe-Priesterin, Elternbeirätin etc. Religionen und andere Esoteriken sind mögliche Spielwiesen für Frauen, die ein bisschen was sein und werden wollen. Und keinen irgendwie messbaren Erfolg schulden müssen (weil sie ja sonst schon Verdruss genug haben).
MIZ: Atheistische bzw. skeptische Vereinigungen sind sehr männerlastig. Warum ist das Ihrer Meinung nach so? Und welche Folgen hat das für die weibliche Minderheit in diesen Vereinigungen?
Assunta Tammelleo: Nun, es ist immer noch alles gesellschaftlich relevante Leben irgendwie männerlastig. Die Anzahl der Frauen in Parteien, in politischen, ökonomischen, sozial wichtigen Positionen ist eh immer noch gering, ganz besonders in Deutschland. Warum also gerade bei uns schlechter als drumherum? Fehlende Ganztagsbetreuungen, Schulen, Krippen, Kindergärten machen aus dem biologischen Unterschied immer noch einen sozialen und auch ökonomischen. Das ist mal eines, und das gilt für humanistische Vereine und Organisationen genauso. Wer sich vertiefen möchte, ich empfehle hierzu das letzte Buch von Bascha Mika. Dem ist nicht viel hinzuzufügen.
Nachdem der Jenseits-Froh-und-Munter-Aspekt bei den Gottlosen so gar gänzlich fehlt, fühlen sich viele Frauen von den Humanisten weniger angesprochen. Zum aus heutiger und moderner Sicht teilweise durchaus trüben Frauen-Leben haben die sog. Säkularen keine besonders ansprechende Alternative. Es blumt nicht so richtig im schnöden Diesseits; Doppel-und Dreifach-Belastungen, schlechtere Jobs, schlechtere Löhne etc. ...
Humanistische Vereine sind auch männerlastig, weil sich mit einer Betätigung in
ihnen bzw. drumherum kaum bis kein Geld verdienen lässt. Wenn Frauen – sicherlich nicht strittig – als Gruppe ökonomisch im Schnitt schlechter gestellt sind als Männer, wie sollten sie es bewerkstelligen, sich in Vereinen und Organisationen zu betätigen, die keine nennenswerten Mittel zur Entlohnung und – unmittelbar damit verbunden – zur gesellschaftlichen Anerkennung haben? Männer verdienen in der Regel mehr, haben an ihrer Seite häufig genug Frauen, die ihren Alltag mit all dem Zeug mitorganisieren und somit ganz einfach mehr Zeit, Energie und Effizienz für öffentlichkeitswirksame Politik
aller Art.
Die weibliche Minderheit kommt in den humanistischen bzw. säkularen Vereinen und Organisationen genauso schlecht weg wie in der CSU. Tausende Jahre an Kulturgeschichte haben Tatsachen festgeschrieben. Humanisten räumen bei humanistischen Treffen genauso wenig den Tisch ab wie bei Tagungen der Hanns-Seidel-Stiftung in Wildbad Kreuth. Das machen auch bei IBKA, bfg oder GBS die Humanistinnen. Und bislang hat keine einzige Frau in unseren Kreisen es geschafft, so was Wichtiges wie z.B. die MV des IBKA zu moderieren. Sie haben es aber immer geschafft, dort Protokollführerinnen zu werden. Vermutlich haben die Migranten, die Schwulen, die Lesben... hier mehr Vormarsch als die Frauen. Ach herrjeh ...
Sollte es gelingen, dass frau sich an die Spitze der Humanisten-Verbände durchbringt, ja dann...? Die hat nicht nur die Kerle immer im Genick, nein, auch die humanistischen Frauen (das ist wie in anderen Parteien, Vereinen, Organisationen auch). Die sind noch schlimmer, denn nicht nur Männer sorgen dafür, dass das Dekolletee einer Amts- und Würdenträgerin ins Blickfeld alles Wichtigen gerät, möglichst vor ihren sonstigen Eigenschaften. Auch Frauen achten sehr genau auf die äußere Erscheinung anderer, womöglich irgendwie wichtigerer Frauen. Und sehr, sehr kritisch. Weil Frauen – auch dies tausende Jahre an sog. Kulturgeschichte – mehr im Kampf um Anerkennung durch das andere Geschlecht sind als Männer es jemals sein werden.
Geschickt wär es, wenn Du als Frau auf dem Weg zu großer Wirkung bei einem
humanistisch, demokratisch, gottlosglücklichen Verband gescheit, aber nicht
gescheiter als der zweite Vorsitzende, gesund über alle Maßen, belastbar mit Doppel- und Dreifach-Belastung, schön, aber nicht schöner als die Gattin des zweiten Vorsitzenden, frech, aber eher pseudo, finanziell unabhängig, aber nicht protzig und ausgestattet mit einem willigen, zur Not nicht humanistisch menschlichen Zweibeiner an der Seite wärst, der die Bedienungsanleitung der Spülmaschine auch ohne Dich lesen und praktisch umsetzen kann. Und notfalls in der Lage, sowohl psychisch als auch physisch, die Spülmaschine nach der humanistischen Tagung ohne Klagen selbst auszuräumen.
Die Arbeit in einem humanistischen Verein setzt für Frauen ein unglaubliches
Stehvermögen voraus. Will frau darin eine Weile nachhaltig aktiv sein und nicht nur Kuverts kleben. Für richtig zarte Frauengemüter ist das nix. Und somit auch selten geeignet, frohen Mutes zu sein. Warum frau es trotzdem macht? Weils
a) nix hilft,
b) es nix Gutes gibt, außer man tut es und
c) irgendein Glaube an die Veränderbarkeit
der Welt bzw. insbesondere an die Stellung der Geschlechter in der Gesellschaft sich erhalten hat.
Was mich anbelangt, nach ca. 30 Jahren der politischen, überwiegend sehr intensiven politischen Arbeit auf dem säkularen Gebiet immer noch Fahne zu schwenken? Ich bin von der Richtigkeit und Wichtigkeit für mich selbst überzeugt! Und ich habe – immer noch – saugute Nerven. Die ich auch die nächsten dreißig Jahre wohl brauchen werde... Und trotz aller Widrigkeiten könnte ich für andere, junge Mädels irgendwie zuversichtlich wirken... Nur diese Hoffnung trägt mich. Ein Fels in einer Brandung, die stürmischer ist, als es auf die ersten Blicke für alle nachfolgenden Humanistinnen aussieht. Und denen ich wünsche, dass sie das, was ich in den letzten 30 Jahren humanistischer Arbeit erlebt habe, nicht erleben müssen...