Esther Vilar ist Ärztin, Psychologin und Schriftstellerin sowie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung. Bekannt wurde sie in Deutschland vor allem durch ihre kritische Haltung gegenüber dem Feminismus.
MIZ: Frauen in aller Welt tragen religiöse Strukturen sehr stark mit (durch religiöse Kindererziehung etc.), obwohl sie selbst an der Macht innerhalb dieser Strukturen nicht teilhaben, von den meisten Religionen sogar als minderwertig betrachtet und unterdrückt werden. Warum werden Religionen Ihrer Meinung nach trotzdem so stark von Frauen mitgetragen?
Esther Vilar: Ich denke, dass die meisten religiösen Frauen an einer Veränderung
der kirchlichen Machtverhältnisse nicht besonders interessiert sind. Nehmen wir die Katholikinnen: Sie sind ca. 80 Prozent der Kirchenbesucher – das heißt, wenn sie wegblieben, stünden ihre Kirchen praktisch leer. Würden sie sich also organisieren und auch nur vier Wochen lang in Streik treten – beispielsweise um zu erreichen, dass auch sie in ihrer Kirche Priester, Bischöfe oder Päpste werden können –, wären ihre Kirchenoberen nach einigem Hin und Her bald verhandlungsbereit und innerhalb eines Jahres hätte man selbstverständlich
eine andere Kirche. Man darf also guten Gewissens behaupten, dass die meisten katholischen Frauen die Kirchenämter der Männer gar nicht begehren und
dass sie sich in ihrer Kirche weder minderwertig noch unterdrückt fühlen.
MIZ: Kirchengemeinden strotzen vor aktiven Frauen und auch in Esoterikläden ist das Publikum meistens weiblich. Aktive Atheistinnen gibt es dagegen nur wenige. Überhaupt ist der Anteil von Frauen in Atheistenverbänden sehr gering. Haben Frauen eine besondere Affinität zum Religiösen oder wie erklären Sie sich diesen Sachverhalt?
Esther Vilar: Wirkliche Atheisten kenne ich wenige, ich kann eigentlich nur über
Agnostiker sprechen. Ohne Glauben zu leben, nicht einmal mit letzter Sicherheit
sagen zu können, dass es da oben wirklich niemanden gibt, bedeutet totale Freiheit und das ist das Schwierigste auf der Welt, weil man bei allen frei getroffenen Entscheidungen für die Folgen irgendwie doch selbst verantwortlich ist. Und am Ende unseres Lebens bedeutet Ungläubigkeit den totalen Tod, da Kirchen im Grunde ja Überlebensversicherungsgesellschaften sind, und gerade aus diesen sind wir ausgetreten. Nach dem Sterben bleibt von uns nun nichts mehr übrig. Das ist schwer zu ertragen. Ich wundere mich, dass es überhaupt soviele Ungläubige gibt. Vielleicht wollen wir Frauen über das alles noch weniger gern nachdenken als die Männer?
Literatur zum Thema von Esther Vilar: Esther Vilar: Katholikinnen aller Länder vereinigt Euch! Bergisch Gladbach 1995