Allgemeines | Veröffentlicht in MIZ 1/12 | Geschrieben von Gunnar Schedel

Keine Atempause

Dieses Jahr wird die MIZ 40 Jahre alt. Im Mai 1972 wurde die erste Ausgabe der „Materialien und Informationen zur Zeit“ verteilt, damals noch eher Flugblatt denn Zeitschrift. Drei Jahre später erschien das erste Heft im jetzigen Format. Der Untertitel „Politisches Journal der Konfessionslosen und Atheisten“ wurde mit Heft 3/79 eingeführt.

Das Thema „Kirchliches Arbeits­recht“ findet sich erstmals 1977 in der MIZ. Damals berichtete Herausgeber Frank Schütte über einen „ganz gewöhnlichen Vorfall am Elisabeth-Krankenhaus in Berlin“ – die fristlose Entlassung eines gewerkschaftlich organisierten Arztes, der Einladungsschreiben für eine Betriebsgruppensitzung verteilt hatte. Darin sah der Verwaltungsleiter der Elisabeth-Diakonissen eine „unerträgliche Hetze“ und einen „äußerst schwerwiegenden Verstoß gegen die Wahrung des Arbeitsfriedens“.

Wenn die MIZ heute ihren Schwer­punkt dem kirchlichen Arbeitsrecht und den daraus resultierenden Grund­rechtseinschränkungen für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen widmet,
deutet das auf journalistische Kontinui­tät hin. Aber auch darauf, dass sich nach einer Generation in dieser Sache wenig verändert hat. Und dass folglich den Bemühungen der säkularen Verbände, den Menschenrechten den Vorrang gegenüber den kirchlichen Privilegien einzuräumen, offenbar nicht viel Erfolg beschieden war.

Tatsächlich hat sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungs
gerichts aus dem Jahr 1985 jene bizarre Vorstellung eines „kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes“ durchgesetzt, die das Anliegen der Weimarer Reichsverfassung unberücksichtigt lässt und die Kirchen aus dem Rahmen der bürgerlichen Gesetzgebung ein gutes Stück herausnimmt. Bis heute begründen sich daraus Streikverbot und Kündigung im Falle eines Verstoßes gegen die besonderen Loyalitätspflichten.

Und doch sind die Aussichten heute andere als vor 35 Jahren. Damals verlor sich gerade der gesellschaftsverändernde Schwung der späten Sechziger Jahre, die „geistig-moralische Wende“ war nicht mehr fern und alle Forderungen nach einer Abschaffung kirchlicher Privilegien waren – aus heutiger Sicht – nur rhetorische Übung. Mittlerweile steht das Thema „Kirch­liches Arbeitsrecht“ auf der politischen Tagesordnung. Wie auch das Tanzverbot an kirchlichen Feiertagen. Und die Staatsleistungen. Und die Konkordatslehrstühle. Dass dies in einer Zeit geschieht, in der sich ansonsten vergleichsweise wenig nach vorne bewegt, muss für die Kirchen ein Alarmsignal sein.

Noch freilich halten die klerikalen Seilschaften. Und nach wie vor spielen Befürchtungen, es sich „mit den Kirchen zu verderben“, eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn Parteien zu entsprechenden Konfliktthemen Stellung beziehen (oder dies eben nicht wagen). Das zeigte sich zuletzt am Gesetzentwurf der hessischen Grünen zur Änderung des Feiertagsgesetzes. Und auch die Debatte um das kirchliche Arbeitsrecht ist davon beeinflusst. So tat sich beispielsweise während der Anhörung „Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen stärken“, die Ende März im Bundestag stattfand, der FDP-Abgeordnete Pascal Kober dadurch hervor, dass er den geladenen Experten die Kirchenposition durch die Formulierung seiner Fragen bereits in den Mund legte (im Zivilberuf ist Kober übrigens evangelischer Pfarrer).

Der kirchentreue FDP-Mann stieß allerdings auch auf bereitwillige Ab­nehmer. Denn die beiden angesprochenen Juristen gehörten zu jener Fraktion von Gesetzesinterpreten, die eine Durchsetzung von Grundrechten innerhalb kirchlicher Einrichtungen als nahezu unmöglich ansehen. Unter Hinweis auf das „Selbstbestimmungsrecht“ der
Kirchen erklärten sie den Parlamenta­riern, dass Änderungen am Status quo kaum möglich seien, ohne mit den „Leitplanken“ des Grundgesetzes zu kollidieren. Gemeint ist damit, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen keine Gesetze erlassen werden dürfen, die den Kirchen Vorschriften machen. Das „Selbstbestimmungsrecht“ der Kirchen (Art. 137 GG, Abs. 3) wird nach dieser Logik über die Grundrechte gestellt, nur im Einzelfall muss abgewogen werden, ob die Beeinträchtigung nicht als zu arg angesehen werden muss. (Die beiden Experten sahen hier erwartungsgemäß keine Probleme, während ein dritter Jurist darauf hinwies, dass in der Praxis die Abwägung auffälligerweise fast immer zuungunsten der Beschäftigten ausfalle.)

Auf den ersten Blick wird erkenn­bar, dass wir es hier nicht mit Rechts­wissenschaft sondern mit Ideologie zu tun haben. Aber unter den sogenannten Staatskirchenrechtlern ist dies derzeit noch die vorherrschende Auffassung. (Wer eine Erklärung dafür sucht, kann sich mal kurz darüber Gedanken machen, wer in diesen Fragen vorrangig Rechtsbeistand benötigt, Gutachten in Auftrag gibt, Forschungsaufträge erteilt usw.) Insofern sollte derzeit niemand allzu große Hoffnungen auf die juristische Ebene setzen. Doch auch die Rechtsprechung reagiert auf gesellschaftliche Veränderungen und politischen Druck.

Ziemlich lange unverändert war auch das Layout der MIZ. Anfang der 1990er Jahre von Rolf Heinrich entwickelt, haben wir es fast 20 Jahre beibehalten. Mit dieser Ausgabe hat die Zeitschrift nun ein neues Gesicht. Geht doch. Also, wie sang ein vor längerer Zeit verstorbener Sänger: „Alles verändert sich, wenn du es veränderst...“ In diesem Sinne: keine Atempause...