Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 4/20 | Geschrieben von Gerhard Rampp

Kirchenfinanzierung auf die linke Tour

Die schwindende Mitgliederzahl der Kirchen wird zu sinkenden 
Einnahmen führen. Eine Zukunftsstudie, die kürzlich von Experten 
der Universität Freiburg zusammen mit Kirchenvertretern er­arbeitet wurde, geht davon aus, dass sich die Kirchenmitglieder­zahl bis 2060 halbieren wird. Die Kirchensteuereinnahmen werden nominell mit 12 Milliarden Euro zwar gleich bleiben, aber in der Kaufkraft ebenfalls um die Hälfte absinken. Allerdings geht diese Studie, die auf den Daten von 2017 beruht, von optimistischen Annahmen aus, die inzwischen korrekturbedürftig sind.

Für die ersten drei Jahre (2018 bis 2020) wurde nämlich ein Mitgliederverlust von 1,7 Millionen errechnet. Tatsächlich verloren die beiden Großkirchen aber 2018 bereits 704.000 und 2019 gar 829.000 Mitglieder. Für 2020 ist nach gegenwärtigem Stand mit einem Verlust von rund 700.000 zu rechnen. Angesichts des zusätzliches Defizits von mindestens einer halben Million Mitgliedern wird die Schrumpfung entsprechend früher eintreten.

Dennoch bräuchten sich die Kir­chen gar keine Sorgen um ihre Finan­zierung machen. Jede der beiden Großkirchen besitzt rund 4500 Qua­dratkilometer Grund. Das sind zusammen neun Milliarden Quadratmeter, von denen ein erheblicher Teil auf Wohnimmobilien entfällt, deren Wert besonders in Ballungszentren und in ganz Süddeutschland erheblich gestiegen ist. Rechnet man allein für die beiden teuersten Milliarden Quadratmeter einen Durchschnittspreis von 500 € pro qm, ergibt sich bereits ein Wert (ohne Bausubstanz) von einer Billion Euro. Das gesamte Grundvermögen einschließlich Bauten dürfte in der Größenordnung von 1,5 Billionen Euro liegen, hinzu kommt das sonstige Kirchenvermögen (ohne Kunstgegenstände), das den zahlreichen kirchlichen Einzelangaben zufolge auf 400 Milliarden Euro zu taxieren ist. Zwar ist zu berücksichtigen, dass ein Teil dieses Riesenvermögens religiösen Zwecken dient und daher kaum verkäuflich ist. Aber es ist offensichtlich, dass die Kirchen mit relativ geringen Verkäufen eventuelle Defizite leicht ausgleichen könnten, zumal ihnen auch mehr als ein Dutzend Kreditinstitute gehört. Dennoch befassen sie sich intensiv mit ihrer künftigen Kirchenfinanzierung, und kaum eine Partei hilft ihnen dabei so engagiert wie ausgerechnet die Linke.

Die Konzeption der Partei Die Linke zur Kirchenfinanzierung wurde im wesentlichen von dem evangelischen Theologen Prof. Franz Segbers erarbeitet. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung stellte seine Ausführungen im Dezember in einem Online-Seminar vor. Allerdings waren die eingeladenen Referenten fast ausschließlich kirchlich engagiert. Auf die Nachfrage, warum nicht auch kirchenunabhängige Experten wie der Leiter der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (FoWiD), Dr. Carsten Frerk, oder der Jurist Johann Albrecht Haupt von der Humanistischen Union eingeladen wurde, antwortete der in der Bundesgeschäftsstelle der Linken für „Strategie und Grundsatzfragen“ zuständige Referent mit bemerkenswerter Ehrlichkeit: „Ich hatte geprüft Carsten Frerk und Johann-Albrecht Haupt einzuladen, weil beide sich sehr umfangreich mit der Finanzierung der Kirchen beschäftigt haben. Sie lehnen u.a. die Kirchensteuer in ihrer aktuellen Rechtsform und die Staatsleistungen an die Kirchen nach dem Grundgesetz ab. Aber beide Positionen teilt – wenn auch aus teils anderen Gründen – Prof. Franz Segbers und die LINKE.“

Das heißt also: Die Linke hat sich schon vorab – und offenbar aufgrund einer Festlegung von oben – entschieden, die traditionelle Position der Kirchen zu Kirchensteuern und Leistungen des Staates an die Kirchen zu vertreten. Außerdem war und ist sie offensichtlich gar nicht gewillt, anderslautende Positionen auf internen Veranstaltungen zu diskutieren oder auch nur bekanntzumachen. Demokratische Willensbildung von unten nach oben sieht anders aus. Und wenn Seminare und Diskussionsforen nicht ergebnisoffen sein sollen – welchen Zweck haben sie dann überhaupt?

Dabei gibt es nur sehr wenige säkulare Experten oder Vereinigungen, die die Kirchensteuer grundsätzlich ablehnen. Denn selbstverständlich haben auch die Kirchen das Recht, Mitgliedsbeiträge zu erheben. Ebenso ist es ihr gutes Recht, die Höhe dieses Mitgliedsbeitrags festzulegen. Derzeit orientiert er sich an der Höhe der Lohn- und Einkommensteuer, die aber nur von gut einem Viertel der Kirchenmitglieder gezahlt wird, nämlich von all denen, die ein zu versteuerndes Monatseinkommen von mehr als etwa 1100 Euro brutto (bei Ehepaaren 2200 Euro) beziehen. Würden auch Geringverdiener oder Einkommenslose zu Kirchenbeiträgen veranlagt, was innerkirchlich vereinzelt diskutiert wird, stiegen die Austrittszahlen beträchtlich.

Zur Kirchensteuer in ihrer heutigen Form stellen sich nur zwei Fragen, die bis dato nicht zufriedenstellend geklärt sind.

1. Warum ziehen die Kirchen ihre Beiträge nicht selbst ein wie in Öster­reich?

Dort informieren die Finanzämter die Kirchen über die Einkommenshöhe ihrer Mitglieder, den Rest erledigen die Kirchen selbst. Offiziell lehnen die deutschen Kirchen diesen Weg ab, weil er zu teuer sei. Tatsächlich sollen die Einziehungskosten in Österreich um 1980 noch neun Prozent der Kirchenbeiträge verschlungen haben. Aber mit den Fortschritten im IT-Sektor liegen die Kosten heute unter jenen 3,5 Prozent der Kirchensteuersumme, die die Kirchen in Deutschland dem Staat für den Einzug erstatten. Nachdem überregionale Großorganisationen wie etwa die Gewerkschaften, der ADAC oder Energieversorger die Kosten für den massenhaften Beitrags- oder Gebühreneinzug konstant gesenkt haben, kann dies auch für die Kirchen kein Problem mehr sein.

Der wirkliche Ablehnungsgrund liegt im psychologischen Bereich: Wenn die Kirchenmitglieder eine Rechnung erhalten, wird ihnen viel stärker bewusst, wie viel Geld sie jährlich an die Kirchen zahlen. Tatsächlich ist die Kirchenaustrittsquote in Öster­reich etwa 1,5 mal so hoch wie in Bayern, wo sie auch schon über dem Bundesdurchschnitt liegt. Und die Kantone Basel-Stadt und Basel-Land, wo die Kirchen ihre Beiträge ebenfalls selbst einziehen, liegen in der Schweiz mit ihrem Konfessionslosenanteil deutlich an der Spitze. So gesehen kommt diese Art des Beitragseinzugs dann wirklich teurer, aber das kann kein Grund für den Staat sein, Partei für Kirchenbelange zu ergreifen.

2. Warum ist die Taufe ein hinreichender Grund für eine Kirchensteuerpflicht?

Die Religionsfreiheit ist ein höchstpersönliches Grundrecht, das die Eltern eigentlich gar nicht stellvertretend für ihre Kinder wahrnehmen können. Sie dürfen diese religiös erziehen, aber die Entscheidung über einen Kircheneintritt (mit Kir­chensteuerpflicht) muss beim Kind liegen. Eine Säuglingstaufe mag als rein innerkirchliches Ritual zulässig sein, aber keinesfalls steht es dem Staat zu, daraus eine Mitgliedsbeitragspflicht (Kirchensteuerpflicht) abzuleiten. So­bald Kindergrundrechte ins Grund­gesetz aufgenommen sind, wird es wegen der Neufassung des Art. 6 GG zu einer verfassungsrechtlichen Prüf­ung kommen. Am logischsten ist eine Kirchensteuerpflicht erst ab 16 Jahren, aber nur bei einer schriftlichen Bei­trittserklärung nach Vollendung des 
14. Lebensjahrs (= Eintritt der Reli­gionsmündigkeit). Von solchen Vorstel­lungen, obgleich sie in der Bevölkerung sogar bei Katholiken und Protestanten viel Anklang finden, ist die Partei Die Linke allerdings meilenweit entfernt.

Neben der Kirchensteuer kassieren die beiden Kirchen noch rund 23 Milliarden Euro jährlich an direkten und indirekten Subventionen durch Staat oder Kommunen – also das Doppelte der Kirchensteuern. Davon machen die heiß diskutierten Konkordatsleistungen mit ihren 0,6 Milliarden nur einen winzigen Teil aus.

Ein Teil dieser Subventionen berührt die Kirchenfinanzen gar nicht. Der Staat übernimmt in seinem Etat von vornherein die Kosten z.B. des Religionsunterrichts (insgesamt etwa acht Milliarden Euro jährlich) und der theologischen Fakultäten sowie der kirchlichen Fachhochschulen (insgesamt etwa eine Milliarde Euro jährlich). Dort könnte der Staat den Umfang der Leistungen reduzieren (z.B. Zahl der Religionsstunden oder Größe der theologischen Fakultäten), ohne dass die Kirchen mitentscheiden könnten. Auch von der unbeschränkten Absetzbarkeit der Kirchensteuer vom Einkommen, die dem Staat Einnahmeausfälle in Höhe von etwa vier Milliarden Euro jährlich bescheren, profitieren nicht die Kirchen, sondern die Kirchensteuerzahler. An­dererseits heißt das: Selbst im kirchen­steuerfinanzierten Anteil an sozialen Projekten steckt fast ein Drittel Staats­subvention.

In den 23 Milliarden Euro nicht enthalten sind die Erstattun­gen der öffentlichen Hand für Sozialeinrichtungen, mit denen die Kirchen Aufgaben über
nehmen, die eigentlich den Kommunen oder Ländern obliegen. Derartige Er­stattungen stehen kirchli­chen Trägern wie allen anderen zu. Im Gegenzug müssten sie den Beschäftigten aber auch die gleichen Grundrechte gewähren. Ob der Theologe Segbers und die Linke sich wenigstens dazu bekennen?

Link zur Studie