Die Grundtendenz des Berichts basiert auf einer interessegeleiteten Interpretation des Grundgesetzes, nämlich der Vorstelllung einer „religionsfreundliche[n] Neutralität der Verfassung“. Daraus leiten sich dann einige Vorschlägen ab, islamische Organisationen zu fördern bzw. ihnen eine bessere Teilhabe zu ermöglichen (z.B. durch die Trägerschaft von sozialen oder Bildungseinrichtungen). Aber in diesem Punkt ist die Studie im Vergleich zu den Berliner Handlungsempfehlungen eher zurückhaltend, so wird beispielsweise keine Stellung zur Frage bezogen, ob den Islamverbänden der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt werden sollte.
Das Problem liegt auf einer anderen Ebene: der Delegitimierung von Kritik an Verhaltensweisen, die unter Bezugnahme auf den Islam begründet werden. Zwar wird als Lippenbekennt
nis betont, dass die „Zulässigkeit von Kritik an bestimmten islamisch legitimierten Ausdrucksformen oder Handlungen nicht verneint werden“ könne (S. 38). Diese Selbstverständlichkeit wird dann jedoch umgehend relativiert: „Auch wenn eine einzelne Person eine bestimmte Kritik an einer islamisch motivierten Praxis vielfach zu Recht übt, ist sie Teil einer Diskursprägung, die in ihrer Gesamtheit einen generalisierenden Charakter trägt und damit rassistische Routinen ausprägen kann.“ (S. 39) In Alltagssprache übersetzt soll das wohl heißen: Solange es in Deutschland Rassismus gibt, der (auch) Muslime trifft, trägt Religionskritik dazu bei, diesen aufrechtzuerhalten.
Die Forderung, dass sie deshalb um des gesellschaftlichen Friedens willen am besten unterbleiben sollte, wird nicht offen ausgesprochen. Stattdessen werden drei Kriterien festgelegt, die anzeigen, wann „Islamkritik“ dazu übergehe, muslimfeindlich zu sein: Wenn erstens Pauschalisierungen erfolgen, wenn zweitens „Perspektiven eindimensional bleiben“ (also bei einem Verhalten ausschließlich religiöse Motivationen ins Auge gefasst werden) oder wenn drittens „Pluralismus ausgelassen wird“. Während die ersten beiden Punkte ihre Berechtigung haben, führt der dritte Punkt in der Praxis dazu, dass jegliche pointiert formulierte Kritik denunziert werden kann.
Und das erfolgt, in meinen Augen sehr zielgerichtet, auch in der Studie des Expertenkreises. Ich wähle ein Beispiel, das für MIZ-Leser:innen leicht
nachzuprüfen ist. Im Kapitel „Öffentliche Debatten: Fallbeispiele für Muslimfeindlichkeit“ gerät die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes ins Visier. Im Abschnitt „Debatte über das Kopftuch (Hijab)“ wird behauptet, dass in deren Kritik der Verschleierung „Frauen mit Hijab als einheitliche Gruppe konstruiert und angesprochen werden“ (S. 79). Die Kritik an patriarchalen Strukturen erfolge, ohne dass „Kontextualisierungen wie unterschiedliche religiöse oder kulturelle Praktiken und Sozialisierungen, muslimische Vielfalt sowie die Community bzw. Gemeindezugehörigkeit“ berücksich
tigt würden (S. 80). Als Beleg wird allen Ernstes ein eine Seite umfassendes Positionspapier der Organisation angeführt. Dass es außer dieser Zusammenfassung auch deutlich umfangreichere, differenzierte Veröffentlichungen von Terre des Femmes zu diesem Themenbereich gibt, wird – ich unterstelle: bewusst – verschwiegen. (Die 15 Seiten umfassende Stellungnahme zur Debatte um die Vollverschleierung wurde in einer gekürzten Fassung in MIZ 1/18 abgedruckt, so dass alle, die das Heft noch haben, schnell nachsehen können, ob die Einschätzung als „muslimfeindlich“ eine Berechtigung hat.)
Da im politischen Diskurs kurze Texte, die eine Position prägnant zusammenfassen, nicht wegzudenken sind (eine Pressemitteilung besteht nun mal aus nur wenigen Sätzen), ist es einfach, jeder Organisation, jedem Publizisten, jeder Menschenrechtsaktivistin „eindimensionale Perspektiven“ oder mangelnde „Kontextualisierung“ vorzuwerfen. Damit wird eine argumentative Beliebigkeit eingeführt, die es ermöglicht, jegliche Religionskritik in den Dunstkreis des Rassismus zu schieben.
Das dabei verfolgte Ziel ist leicht zu benennen: Wer sich auf der Grundlage eines universalistischen Menschenrechtsverständnisses engagiert, wird
vom Vorwurf des potentiellen Rassismus in seinem Selbstbild getroffen und sich in Zukunft seltener äußern. Wer hingegen tatsächlich rassistisch eingestellt ist, wird sich wenig beeindrucken lassen. Wenn die Strategie des Expertenkreises aufgeht, werden in absehbarer Zeit muslimfeindliche Positionen den Diskurs dominieren, weil andere Stimmen zunehmend verstummen. Und dann wäre tatsächlich der Zustand erreicht, der bislang nur durch einen unseriösen und manipulativen Umgang mit den Quellen „belegt“ werden konnte.
So ist es kein Zufall, dass der Begriff „Emanzipation“ als positiv besetztes ge
sellschaftliches Ziel in der Studie nicht vorkommt. Denn die Vorstellung, dass es gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten könnte, wenn Menschen sich von ihrer angestammten Religion emanzipieren, ist dem Expertenkreis fremd.
Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz, 395 Seiten; kostenloser Download auf der Webseite des Bundesinnenministeriums.