Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 2/23 | Geschrieben von Romo Runt

Kritik- und emanzipationsfeindlich

Der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit legt seinen Abschlussbericht vor

Parallel zu der in Berlin eingesetzten Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus (vgl. MIZ 3/22) traf sich auf Bundes­ebene ein Unabhängiger Expertenkreis Muslimfeind­lichkeit, der 
im Juni seine Ergebnisse in einer fast 400 Seiten umfassenden
 Studie vorgelegt hat. Auch wenn weder die Gesamtdarstellung noch die Handlungsempfehlungen des Expertenkreises die offen identitäre Ausrichtung des Berliner Pendants an den Tag legen, erweisen sich auch hier viele der Perspektiven und Forderungen 
als problematisch.

Die Grundtendenz des Berichts basiert auf einer interessegeleiteten Inter­pretation des Grundgesetzes, nämlich der Vorstelllung einer „religions­freund­liche[n] Neutralität der Ver­fassung“. Daraus leiten sich dann einige Vorschlägen ab, islamische Or­ganisationen zu fördern bzw. ihnen eine bessere Teilhabe zu ermöglichen (z.B. durch die Trägerschaft von sozialen oder Bildungseinrichtungen). Aber in diesem Punkt ist die Studie im Vergleich zu den Berliner Hand­lungsempfehlungen eher zurückhaltend, so wird beispielsweise keine Stellung zur Frage bezogen, ob den Islamverbänden der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt werden sollte.

Das Problem liegt auf einer anderen Ebene: der Delegitimierung von Kritik an Verhaltensweisen, die unter Bezugnahme auf den Islam begründet werden. Zwar wird als Lippenbekennt
nis betont, dass die „Zulässigkeit von Kritik an bestimmten islamisch legitimierten Ausdrucksformen oder Handlungen nicht verneint werden“ könne (S. 38). Diese Selbstverständ­lichkeit wird dann jedoch umgehend relativiert: „Auch wenn eine einzelne Person eine bestimmte Kritik an einer islamisch motivierten Praxis viel­fach zu Recht übt, ist sie Teil einer Diskursprägung, die in ihrer Ge­samtheit einen generalisierenden Charak­ter trägt und damit rassistische Routinen ausprägen kann.“ (S. 39) In Alltagssprache übersetzt soll das wohl heißen: Solange es in Deutschland Rassismus gibt, der (auch) Muslime trifft, trägt Religionskritik dazu bei, diesen aufrechtzuerhalten.
Die Forderung, dass sie deshalb um des gesellschaftlichen Friedens willen am besten unterbleiben sollte, wird nicht offen ausgesprochen. Stattdessen werden drei Kriterien festgelegt, die anzeigen, wann „Islamkritik“ dazu übergehe, muslimfeindlich zu sein: Wenn erstens Pauschalisierungen erfolgen, wenn zweitens „Perspektiven eindimensional bleiben“ (also bei einem Verhalten ausschließlich religiöse Motivationen ins Auge gefasst werden) oder wenn drittens „Pluralismus ausgelassen wird“. Während die ersten beiden Punkte ihre Berechtigung haben, führt der dritte Punkt in der Praxis dazu, dass jegliche pointiert formulierte Kritik denunziert werden kann.
Und das erfolgt, in meinen Augen sehr zielgerichtet, auch in der Studie des Expertenkreises. Ich wähle ein Beispiel, das für MIZ-Leser:innen leicht 
nachzuprüfen ist. Im Kapitel „Öffent­liche Debatten: Fall­beispiele für Muslim­feindlichkeit“ gerät die Frauen­rechtsorganisation Terre des Femmes ins Visier. Im Abschnitt „Debatte über das Kopftuch (Hijab)“ wird behauptet, dass in deren Kritik der Verschleierung „Frauen mit Hijab als einheitliche Gruppe konstruiert und angesprochen werden“ (S. 79). Die Kritik an patriarchalen Strukturen erfolge, ohne dass „Kon­textualisierungen wie unterschied­liche religiöse oder kulturelle Praktiken und Sozialisierungen, muslimische Vielfalt sowie die Community bzw. Gemeindezugehörigkeit“ berück­sich
­tigt würden (S. 80). Als Beleg wird allen Ernstes ein eine Seite um­fassendes Positionspapier der Organi­sation angeführt. Dass es außer dieser Zusam­menfassung auch deutlich um­fang­rei­chere, differenzierte Veröffentlichun­gen von Terre des Femmes zu diesem Themenbereich gibt, wird – ich unterstelle: bewusst – verschwiegen. (Die 15 Seiten umfassende Stellung­nahme zur Debatte um die Voll­verschleierung wurde in einer gekürzten Fassung in MIZ 1/18 abgedruckt, so dass alle, die das Heft noch haben, schnell nachsehen können, ob die Einschätzung als „muslimfeindlich“ eine Berechtigung hat.)
Da im politischen Diskurs kurze Texte, die eine Position prägnant zusammenfassen, nicht wegzudenken sind (eine Pressemitteilung besteht nun mal aus nur wenigen Sätzen), ist es einfach, jeder Organisation, jedem Publizisten, jeder Menschenrechtsaktivistin „eindimensionale Perspektiven“ oder mangelnde „Kontextualisierung“ vorzuwerfen. Damit wird eine argumentative Beliebigkeit eingeführt, die es ermöglicht, jegliche Religionskritik in den Dunstkreis des Rassismus zu schieben.
Das dabei verfolgte Ziel ist leicht zu benennen: Wer sich auf der Grundlage eines universalistischen Men­schen­rechtsverständnisses engagiert, wird 
vom Vorwurf des potentiellen Rassis­mus in seinem Selbst­bild getroffen und sich in Zukunft seltener äußern. Wer hingegen tatsächlich rassistisch ein­gestellt ist, wird sich wenig beeindrucken lassen. Wenn die Strategie des Expertenkreises aufgeht, werden in absehbarer Zeit muslimfeindliche Positionen den Diskurs dominieren, weil andere Stimmen zunehmend verstummen. Und dann wäre tatsächlich der Zustand erreicht, der bislang nur durch einen unseriösen und manipulativen Umgang mit den Quellen „belegt“ werden konnte.
So ist es kein Zufall, dass der Begriff „Emanzipation“ als positiv besetztes ge
sellschaftliches Ziel in der Studie nicht vorkommt. Denn die Vorstellung, dass es gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten könnte, wenn Menschen sich von ihrer angestammten Religion emanzipieren, ist dem Expertenkreis fremd.

Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz, 395 Seiten; kostenloser Download auf der Webseite des Bundesinnenministeriums.