Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 4/16 | Geschrieben von Christoph Lammers

Rezension von David I. Kertzer: Der erste Stellvertreter

Papst 
Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschis­mus

David I. Kertzer: Der erste Stellvertreter. Papst 
Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschis­mus. Theiss Verlag, Darmstadt 2016. 608 Seiten, gebunden, Euro 38.-. ISBN 978-3-8062-3382-7

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt zu den dunkelsten Kapiteln der europäischen Geschichte. Eine besondere Rolle spielt dabei die enge Verzahnung zwischen dem faschistischen Italien und dem Vatikan, ebnete doch diese unheilige Allianz den Weg für den um sich greifenden Faschismus in Europa und damit die Vertreibung und Ermordung von Millionen von Menschen.

Jahrelang warteten die Historiker_innen darauf, Einblick in wichtige Dokumente aus den vatikanischen Archiven zu bekommen, um sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und zu einem besseren Verständnis historischer Ereignisse beitragen zu können. 2006 war es dann soweit. Die Akten zum Pontifikat Pius XI. wurden geöffnet. Der US-amerikanische Wissenschaftler David I. Kertzer, der seit 1998 in den vatikanischen Archiven forscht, legt mit seinem rund sechshundert Seiten umfassenden Werk eine erste Bilanz des Pontifikats vor.

Mit seiner Darstellung gelingt es 
Kertzer nicht nur, die beiden historischen Personen in einer Art „Paral-
lelbiografie“, so der Kirchenhistoriker Hubert Wolf im Vorwort, miteinander in Verbindung zu setzen. Er legt zudem die enge Verquickung zwischen dem faschis­tischen Staat und dem Vatikan dar. 
Während die Lateranverträge dem Vati­kan zu einem souveränen Staatsgebilde verhalfen und mit dem Konkordat der katholischen Kirche einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf Kultur, Bildung und Soziales ermöglichte, verschaffte sich Mussolini so die nötige Legitimation zur Durchsetzung seiner faschistischen Politik. „Der Papst wollte Italien rekatholisieren, das, wie er glaubte, unter der modernen demokratischen Regierungsform gelitten hatte. Mussolini hatte keine religiösen Interessen, aber er brauchte die Unterstützung des Papstes“, so Kertzer in einem Interview.

Der sich aus dieser Verbindung er
gebende Klerikalfaschismus diente als Bollwerk gegen den Kommunismus. Dabei war beiden offensichtlich jedes Mittel recht, wie Kertzer betont: „Die einzige Alternative zu Mussolinis Regierung war damals eine Koalition zwischen den Sozialdemokraten und der katholischen Volkspartei. Der Papst 
erklärte aber, die Volkspartei dürfe keine Verbindung mit den Sozialdemokraten eingehen. Der Papst verhinderte jede Alternative zu Mussolini, und das erlaubte Mussolini 1924, die anderen Parteien zu verbieten und eine Diktatur aufzubauen. Der Papst war absolut entscheidend für die Etablierung der italienischen Diktatur.“ Damit waren zugleich die Weichen für das folgende Pontifikat Pius XII. gestellt.

David I. Kertzer ist, das zeigt sein 
mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes 
Werk, ein begnadeter Geschichten­erzähler. Er lässt seine Leser_innen an diesem Faustischen Pakt teilhaben. Das sieht auch Hubert Wolf so. In seinem Vorwort schreibt er: „Ohne Römische Kurie kein Faschismus, ohne Achille Ratti kein Benito Mussolini, ohne Pius XI. kein Duce.“