Buchbesprechung | Veröffentlicht in MIZ 2/23 | Geschrieben von Gerhard Rampp

Rezension von David Kertzer: Der Papst, der schwieg

 

David Kertzer: Der Papst, der schwieg. Die geheime Geschichte von Pius XII., Mussolini und Hitler. Stuttgart 2023, Thiess; 704 Seiten, Abbildungen, gebunden, Euro 39.-, ISBN 978-3-8062-4502-8

In den zahlreichen Büchern von Karl­heinz Deschner regte in den 1960er Jahren nichts die katholischen Gemüter so stark auf wie die Enthüllungen über die Nähe des Pacelli-Papstes zu Nazi-Deutschland. Nachdem die vom wichtigsten Kirchenhistoriker des 20. Jahrhunderts vorgelegten Dokumente jedem Widerlegungsversuch standhielten, zeigten sich die Kirchengeschichtler des Vatikans zuversichtlich, die Offenlegung der päpstlichen Archive werde die Integrität von Pius XII. schon noch beweisen. Nach starkem Druck (auch von innerkirchlicher Seite) ließ der aktuelle Papst schließlich 2020 die Archive für die Zeit zwischen 1930 und 1958 öffnen.

Der US-Historiker David Kertzer war wohl der erste, der die Dokumente dieser Epoche vollständig einsehen und im Zusammenhang darstellen konnte. Dabei legte er den Schwerpunkt auf die Kommunikation zwischen dem italienischen Diktator Mussolini und dem Heiligen Stuhl.
Anhand vieler Fakten belegt Kertzer das vorsichtige Taktieren Pacellis, der jeden Konflikt mit den damaligen Diktaturen vermeiden wollte. „Er wollte die für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit mit der faschistischen Regierung Italiens beibehalten und eine Übereinkunft mit dem NS-Regime erreichen.“ Nach dem für die Kurie äußerst günstigen Lateranvertrag von 1929 mit Mussolini und dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 war dies für Pius XI. wie auch für seinen Nachfolger mehr als naheliegend. Dabei waren beide Päpste ausschließlich an der Wahrung der katholischen Interessen orientiert. „Vor allem wollte Pius XII. die Kirche schützen und damit ihre gottgegebene Mission zur Rettung der Seelen.“ Dies hatte seinen Preis. Zur deutschen Invasion Polens im September 1939 kam kein Wort aus dem Vatikan, obwohl ein erheblicher Teil des polnischen Klerus in KZs eingewiesen wurde. Ebenso wenig verurteilte der Papst die antijüdischen Gesetze des italienischen Faschismus oder des deutschen Nazismus. Doch blieb Pacelli keineswegs immer stumm: Als Hitler das Elser-Attentat im Münchner Bürgerbräukeller 1939 unverletzt überlebte, sandte Pius XII. ein Glückwunschtelegramm. Und als gegen Kriegsende Berichte über Prostitution zwischen Italienerinnen und US-Soldaten aufkamen, protestierte der Papst vehement. Dafür hielt er sich nobel zurück, als im Herbst 1943 die Deportation der Juden Roms bevorstand. Nur für die katholisch getauften Juden setzte er sich ein, von denen 250 freikamen, während über 1000 Juden ohne Widerspruch aus dem Vatikan nach Auschwitz transportiert wurden.
Die faktenreiche und recht akribische Aufarbeitung führte zu einem 700 Seiten starken, trotz seiner Fülle lesenswerten Werk. Der Preis von 39 Euro sollte in diesem Fall nicht abschrecken.

Gerhard Rampp