Der Austritt des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD) aus dem KORSO, jetzt: Zentralrat der Konfessionsfreien, hat im März 2021 bei vielen innerhalb und außerhalb des HVD für Kopfschütteln gesorgt. Die Entscheidung ging wohl weniger von der Basis des HVD aus. Sie entstammt eher diffusen Befürchtungen von Funktionären, die bereit wären alles zu blockieren, was auch nur im Verdacht steht, ihre kurzfristigen Interessen zu berühren. Damit bestätigte sich unfreiwillig der Leitgedanke, der im Herbst 2020 bei einer KORSO-Klausur aufgekommen ist: „Wir brauchen einen funktionierenden KORSO, keinen KORSO der Funktionäre!“1 Immerhin waren die Entscheidungsträger im HVD klug genug, die Tür nicht ganz zuzustoßen, sondern eine „strategische Partnerschaft“ mit dem Zentralrat der Konfessionsfreien zu vereinbaren, wie Groschopp zu Beginn seines Artikels einräumt. Wie diese mit Leben gefüllt wird, muss die Zukunft zeigen.
In den folgenden Zeilen werde ich zeigen, warum viele Unbeteiligte (und um die geht es!) den Schritt des HVD weg von einem gemeinsamen säkularen Ziel als Fehler betrachten und welche Rolle begriffliche Verwirrungen dabei gespielt haben könnten. Besonders der von Groschopp geforderte Verzicht auf das Adjektiv säkular vor der Bezeichnung Humanismus führt in letzter Konsequenz zu vermeidbaren Missverständnissen. Im Folgenden biete ich eine alternative Perspektive auf den säkularen Humanismus an und werbe dafür, diesen Begriff in der öffentlichen Debatte gezielt und produktiv zu verwenden.
Säkular
Das Adjektiv säkular (lat. für weltlich) soll hier als Synonym für weltlich benutzt werden. „Weltlich“ bedeutet laut Wikipedia, „nicht im Zusammenhang mit einem Kult zu stehen, keine rituelle oder religiöse Bedeutung zu tragen resp. nicht heilig (sakral) zu sein“.2 Gemeint ist also „nichtreligiös“. Genauso wie es Religiösen aber nicht einfallen würde, ihre Weltanschauung als „nichtsäkular“ oder „nichtweltlich“ zu bezeichnen, sind säkulare Humanisten gut beraten, auf die anbiedernde Negation „nichtreligiös“ eher zu verzichten, wenn Klarheit auch anders erzielt werden kann. Eine säkulare Einstellung zur Welt leitet sich nicht daraus ab, dass es andere Haltungen gibt, die eine übernatürliche Gottheit voraussetzen, im Gegenteil. Dieses neue Selbstbewusstsein der säkularen Bewegung in Deutschland drückt sich auch durch die Bezeichnung „konfessionsfrei“ aus, die der Zentralrat der Konfessionsfreien bewusst gewählt und mit seinem Leitmotiv „wir sind frei“ unterstrichen hat.
Anders als Groschopp behauptet (S. 36-37), bedeutet die Verwendung des Adjektivs allerdings keineswegs „Kirchenkampf“. Ein säkularer Staat verteidigt die weltanschauliche Neutralität und die offene Gesellschaft, bekämpft dabei aber nicht notwendigerweise die Kirchen, wenn sie Neutralität und offene Gesellschaft akzeptieren. Auch der Zentralrat der Konfessionsfreien wendet sich gar nicht an die Kirchen, schon gar nicht an kirchlich orientierte oder sich als religiös verstehende Menschen. Vielmehr adressiert er seine Forderungen an den Staat und seine Vertreter. Dieser Staat ist nach Grundgesetz zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet, also zur strikten Gleichbehandlung aller Weltanschauungen, seien sie religiös oder nichtreligiös. Dass diese Gleichbehandlung zum gegenwärtigen Zeitpunkt alles andere als erfüllt ist, dürfte in säkularen Kreisen unumstritten sein.
Die Forderung „Trennung von Kirchen und Staat“ (S. 37) ist und bleibt – anders als Groschopp behauptet – weiter sinnvoll. Nämlich überall dort, wo es Verflechtungen zwischen beiden gibt, die das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes verletzen. Ob man dabei ein „kooperatives“ Modell zwischen dem Staat und (allen denkbaren) Weltanschauungsgemeinschaften bevorzugt oder ein Modell der vollständigen Entflechtung religiöser Institutionen und dem Staat, das man gerne mit der verfassungsrechtlichen Bezeichnung „laizistisch“3 verbindet, kann und soll gar nicht rein begrifflich betrachtet werden. Es ist im Einzelfall zu klären – stets nach der grundgesetzlichen Maßgabe der weltanschaulichen Neutralität und Gleichbehandlung. Dass diese strikt einzuhalten ist, sieht der Zentralrat der Konfessionsfreien als Aufgabe und Ziel seiner Lobbytätigkeit an. „Wir wollen keine Fördergelder, sondern die Beachtung der Grundrechte.“ So steht es gleich in der Einleitung der „Säkularen Ampel“, des Grundsatzprogramms, das sich der Zentralrat zu Beginn der Legislaturperiode gegeben hat.4
Zusammengefasst: „Säkular“ ist nicht etwa ein schmückendes Adjektiv, sondern die unverzichtbare Bezeichnung einer Eigenschaft, mit der man den grundlegenden Inhalt der betreffenden Weltanschauung definiert.
Humanismus und Weltanschauung
In seinem MIZ-Artikel bietet Horst Groschopp – im Rückgriff auf das von ihm mitverfasste Handbuch Humanismus: Grundbegriffe – acht Bedeutungen des Begriffs Humanismus an (S. 35) und bezeichnet die Barmherzigkeit (Humanität) als dessen Kern. Dem wird hier nicht widersprochen. Im Gegenteil: Groschopp ist zuzustimmen, wenn er Humanismus (alleine) begrifflich als „nicht hinreichend“ (S. 35) bezeichnet – ich ergänze: nicht hinreichend zur Definition einer Weltanschauung.
Eine Weltanschauung wird daraus erst durch das Hinzufügen eines Adjektivs. Ein christlicher Humanismus mag zu ähnlichen Schlüssen kommen wie ein säkularer, die jeweiligen Begründungen unterscheiden sich dagegen erheblich. Während hinter einem christlichen, einem jüdischen, einem muslimischen oder ganz allgemein einem religiösen Humanismus eine übernatürliche Instanz als Begründung steht, kann und muss ein säkularer Humanismus ohne diese Begründung auskommen – und zwar definitionsgemäß. Anders als Groschopp anführt, wird das Adjektiv „säkular“ also nicht hinzugefügt, „um die jeweilige angestrebte Zukunft genauer zu beschreiben“ (S. 35), sondern um die weltanschauliche Perspektive auf den Humanismus klar abzugrenzen.
Ein säkularer Humanismus unterscheidet sich von einem religiösen dadurch, dass ihm die religiöse Basis entzogen ist, also keine übernatürlichen Kräfte zur Fundierung des Humanismus herangezogen werden. Wenn man – wie Groschopp – Barmherzigkeit als Kern des Humanismus sieht, dann ist dieser Kern in der säkularen (oder weltlichen) Ausprägung in reiner Menschenfreundlichkeit begründet und kommt ohne Rückgriff auf Gottheiten oder sonstige übernatürliche Wesenheiten aus. Werte, die im säkularen Humanismus für richtig gehalten und vertreten werden, sind eben nicht gottgegeben oder geweiht. Säkulare Humanisten gehen davon aus, dass diese Werte im gesellschaftlichen Diskurs verhandelt und gesetzt werden müssen, unter Anwendung rationaler Argumentation und ethischer Wertsätze – wie etwa dem Kantschen Imperativ, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem deutschen Grundgesetz: alles menschengemacht. In der Welt säkularer Humanisten geht es mit rechten Dingen zu.
Ein Missverständnis wäre es aber auch, wenn man glaubt, aus dem säkularen Humanismus eine Geringschätzung gegenüber anderen Weltanschauungen herauslesen zu wollen. So zitiert Groschopp am Ende seines Artikels Nida-Rümelin (S. 39): „Der … säkulare Humanismus … lehnt religiöse Überzeugungen und Praktiken grundsätzlich ab.“ Dies ist nur korrekt, wenn man es auf die Definition der eigenen Weltanschauung bezieht. Daraus abzuleiten, er gehe „über das hinaus, was das humanistische Ethos verlangt“, ist unzulässig. Ich kann volles Haar tragen, ohne Menschen mit Glatze mit persönlicher Abneigung zu begegnen. Ich kann Rockmusik lieben, ohne diejenigen zu verachten, die Jazzmusik bevorzugen. Und ich kann mich als säkularer Humanist verstehen, ohne meinem christlichen Gegenüber den Humanismus abzusprechen.
Zusammengefasst: Humanismus allein ist noch keine Weltanschauung, säkularer Humanismus dagegen schon – nämlich eine, die ohne Übernatürliches auskommt und sich anderen Weltanschauungen gegenüber tolerant verhalten kann und sollte.
Politische Forderungen
Groschopp behauptet, der HVD trete konfessionell (bekenntnishaft) auf, weil er Gleichbehandlung will (S. 39). Das halte ich nicht für zwingend. Man kann Gleichbehandlung auch fordern, wenn man selbst kein „Bekenntnis“ (welcher Art auch immer) ablegen möchte. Man kann fordern, dass Privilegien so lange auch für andere als die christlichen Weltanschauungen aufrechterhalten werden, wie sie für eine einzelne Weltanschauung gelten. Diese gemeinsame Haltung, kurz bezeichnet als „Solange-Formel“, wurde bereits 2014 auf einer der KORSO-Klausuren kollegial vereinbart – und hinterher vom HVD einseitig zu Fall gebracht. Ohne Not, wie ich meine. Denn: Wenn Privilegien abgeschafft werden, werden sie auch für die Mitbewerber abgeschafft. Das erhält Wettbewerbsgleichheit unter fairen Bedingungen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ob man dabei die Weltanschauung des säkularen Humanismus als „Bekenntnis“ sehen möchte oder nicht, wird seit Jahren ergebnislos diskutiert. Ich gehe davon aus, dass die Weltanschauung des säkularen Humanismus kein Bekenntnis sein muss, das mit dem Bekenntnis zu einer der beiden „großen“ (aber immer kleiner werdenden) christlichen Religionsgemeinschaften evangelisch und katholisch vergleichbar ist.
Sonderbar ist Groschopps Nachsatz, dass Weltanschauungsgemeinschaften wie der HVD „…nicht vorhaben, sie [die Religionsgemeinschaften] und die Religion gleich mit ‘abzuschaffen’. Das aber intendiert ‘säkular’.“ (S. 39) Nein, das intendiert niemand, schon gar nicht das unschuldige Adjektiv „säkular“ – siehe oben zum Zitat von Nida-Rümelin. Die Unterstellung, die anderen wollen „die Religion abschaffen“ oder noch Schlimmeres tun, ist Gift für jegliche Kooperationsbemühungen im säkularen Spektrum. Sie ist also nicht nur unzutreffend, sondern toxisch. Es ist ein humanistischer Wunsch, künftig darauf zu verzichten. Statt interessengeleitet zu spekulieren, wäre es begrüßenswert, diejenigen nach ihrer Haltung zu fragen, über die man spricht oder schreibt.
Lapidar schreibt Groschopp weiter: „Staat und Gesellschaft sollen … pluralistisch eingerichtet sein, was nicht neutralistisch heißt.“ Ich finde: Wir sollten der Versuchung widerstehen, alles in einen Topf zu werfen. Differenzieren wir stattdessen: Die Gesellschaft, in der wir leben, ist plural und das ist gut so. Der Staat, also wir alle, vertreten durch gewählte Politiker, hat sich daher neutral zu verhalten – also weder für noch gegen einen bestimmten Ausdruck dieser pluralistischen Vielfalt, sofern er sich im grundgesetzlich definierten Rahmen bewegt.
Was sollen sie also fordern, die säkularen Humanisten? Gibt es gemeinsame Ziele, auf die sich alle einigen können? Also diejenigen, die Dienstleistungsangebote für säkular-humanistisch eingestellte Menschen anbieten wollen, gemeinsam mit denjenigen, die ungerechtfertigte einseitige Privilegien für historisch dominierende und inzwischen steil erodierende Religionsgemeinschaften abschaffen wollen? Selbstverständlich! Einen Vorschlag für zwölf dieser gemeinsamen Forderungen hat der Zentralrat der Konfessionsfreien in seiner „säkularen Ampel“5 für diese Legislaturperiode zusammengefasst.
Warum wird dieses Programm nicht breit diskutiert? Etwa im HVD oder bei anderen Organisationen, die sich im säkularen Spektrum verorten? Ich meine, das liegt (auch) am „Groschoppschen Sonderweg“: Säkular wird mit schädlichen Begriffen in einen Topf geworfen, dann rumgerührt und am Ende eine ungenießbare Soße daraus gekocht, die nur noch wenige verkosten wollen: Kirchenkampf? Nicht mit mir! Wir sehen in den Religionsgesellschaften „keine Gegner mehr“, sondern „konkurrierende Akteure“ (S. 37). „Religionen abschaffen“? (S. 39) Das können nur intolerante Menschen fordern. „Rücksichtsvoller Umgang untereinander“? Der „säkulare Humanismus“ lehne doch „religiöse Überzeugungen … grundsätzlich ab“ und gehe damit über sowas „hinaus“. Als ob irgendein säkularer Humanist auch nur eines davon fordern würde! All dies führt nicht zusammen. Es spaltet. Seit Jahren.
Fazit
Hören wir auf damit, uns gegenseitig Unsinniges zu unterstellen und Begrifflichkeiten madig zu machen! Der Versuch, den zusammengesetzten Begriff „säkularer Humanismus“ zu beschädigen, darf als gescheitert angesehen werden. Wer sich seinen Mitmenschen gegenüber „humanistisch“ verhalten möchte, dabei aber keine religiöse Begründung braucht und auch keine haben will, darf sich getrost als säkularer Humanist sehen, mit anderen Menschen zusammenschließen und organisieren.
Wer Dienstleistungsangebote für Menschen, die dies nachfragen, bereitstellen möchte, kann das als säkularer Humanist tun. Ein „praktischer Humanismus“ kann religiös begründet sein oder säkular. Zur Klarheit muss man also immer dazu sagen, welchen man meint. Ein säkularer Humanismus kann praktisch interpretiert werden: Er ist dann ein praktischer Humanismus säkularer Ausprägung. Wenn sich eine Organisation auf Angebote für solche Menschen spezialisiert, dann hat dies die Unterstützung des gesamten säkularen Spektrums verdient. Umgekehrt brauchen Funktionäre der Dienstleistungsorganisationen keine Angst haben vor den politischen Forderungen derer, die dem weltanschaulichen Neutralitätsgebot des Grundgesetzes zur Geltung verhelfen wollen. Sie fordern nicht mehr als das, was im Grundgesetz festgeschrieben ist.
Der Zentralrat der Konfessionsfreien tut dies: Er fordert die Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein. Lasst uns gemeinsam daran mitarbeiten, dass der Zentralrat mit seiner Lobbyarbeit für konfessionsfreie Menschen Erfolg hat!
Anmerkungen
1 Zwei Dutzend Vertreter der damaligen KORSO-Mitgliedsverbände hatten sich im Herbst 2020 in der Nähe von Fulda versammelt und gemeinsam erarbeitet und vereinbart, den KORSO zu einer wirksamen Lobbyorganisation weiterzuentwickeln.
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Profan
3 Oft in der Hoffnung, dass allein der Begriff schon ausreichend negative Assoziationen erzeuge.
4 https://konfessionsfrei.de/saekulare-ampel/.
5 Ebenda.