Schwerpunktthema | Veröffentlicht in MIZ 3/22 | Geschrieben von Redaktion MIZ

Solidaritätserklärung für Salman Rushdie

Southall Black Sisters

Die Southall Black Sisters (SBS) verurteilen auf das Schärfste den gewalttätigen Angriff auf Salman Rushdie, der Verletzungen erlitten hat, die sein Leben verändern werden. Noch sind die Motive des Angreifers unklar, aber Berichten sprechen von einer großen Wut, mit der Rushdie attackiert worden sei, und es sieht danach aus, als sei diese in religiösem Eifer begründet.

Angesichts dieses Vorfalls wird es der schreibenden Zunft kalt den Rücken hinunterlaufen, insbesondere den­jenigen, die über politisch und religiös heikle Themen schreiben.

Abgesehen davon, dass es wichtig ist, unsere geschätzte Meinungsfreiheit zu schützen, möchten wir die Auf­merksamkeit auf den politischen Kon­text dieses Angriffs lenken. Wir sind zutiefst besorgt über die Zunahme des religiösen Fundamentalismus und die Folgen für die Freiheit der Frauen. Es sind die Frauen, die als erste die Auswirkungen des religiösen Funda­mentalismus zu spüren bekommen, wenn ihre ohnehin immer gefährdeten Freiheiten zu verschwinden beginnen. Dies ist eine unumstößliche Tatsache, die wir am ersten Jahrestag der Übernahme Afghanistans durch die Taliban beklagen.

Die SBS registrierten die zunehmenden religiös begründeten Einschrän­kungen bei den Frauen, mit denen wir zu tun hatten, lange bevor das Problem des religiösen Extremismus in der Mitte der Gesellschaft gesehen wurde (was etwa ab Mitte der 1980er Jahre der Fall war).

Als der Iran 1989 die Fatwa gegen Salman Rushdie erließ, erkannten die SBS, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall religiöser Unduld­samkeit handelte. Wir gründeten eine Organisation, Women Against Fun­da­mentalism (WAF), eine Gruppe weißer und schwarzer Feministinnen, die unterschied­liche politische Orien­tierungen mitbrachten und deren ethnische und religiöse Herkunft nicht gleich war. Die Gruppe war der festen Überzeugung, dass das Wiederaufleben des Funda­mentalismus in allen Reli­gionen weltweit bekämpft werden müsse. Dies sollte zum einen der Dämo­nisierung des Islams durch den Staat und die liberale Intelligenz etwa entgegensetzen, zum anderen eine wirk­same Strategie zur Bekämpfung reaktionärer religiöser Kräfte in allen Communities entwickeln. Die WAF führten Kampagnen gegen den hinduistischen, katholischen und jüdischen Fundamentalismus durchführten. Weil aber den Aktivitäten nicht der gleiche Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit zuteil wurde, konnte eine antirassistischen Lobby die WAF als anti-islamisch darstellen und die Gruppe sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, der Islamophobie Vorschub zu leisten. Dabei war das genau das Gegenteil von dem, was die WAF mit ihrem auf alle fundametalistischen Tendenzen gerichteten Ansatz erreichen wollte.

Eine Folge der Auseinandersetzung um Rushdie war, dass überall religiöse Identitäten ethnische und geschlechtliche Identitäten überlagerten. Säkulare Antirassisten entdeckten ihre muslimische Identität. Muslimische Frauen übernahmen zunehmend den Hijab als Symbol des Stolzes auf ihre religiöse Identität. Die Linke zögerte, reaktionäre Kräfte innerhalb unserer Communities zu kritisieren, weil dies als rassistisch hätte angesehen werden können.

Aus Schriftstellerkreisen wurde die Befürchtung laut wurde, dass dieser Angriff die Organisatoren von Lesungen zu bewegen könnte, bei Einladungen nun vorsichtiger zu sein. Der Staat ist bislang immer den Religiösen entgegengekommen, um so ihre Forderungen zu beschwichtigen, und hat erfolglos versucht, die „Gemäßigten“ von den „Extremisten“ zu trennen und ihnen öffentliche Räume zugestanden – was für Frauen äußerst problematisch ist.

Wir wünschen Salman Rushdie eine vollständige Genesung.

SBS Management Committee
13. August 2022