Prisma | Veröffentlicht in MIZ 4/18 | Geschrieben von Redaktion MIZ und Jacques Tilly

„Worüber wir lachen, davor haben wir keine Angst mehr“

Ein Gespräch mit Jacques Tilly über Kunst, Kritik und 
die real existierende Demokratie

Kunst lebt davon, von den alltäglichen Normen abzuweichen. Kunstwerke missachten gesellschaftliche Konventionen und verstoßen gegen politische Korrektheit – und sind genau deshalb in der Lage, neue Perspektiven auf Gesellschaft und Politik zu eröffnen. Das stößt nicht immer auf Zustimmung, nicht bei den Herrschenden, aber ebensowenig in der Durchschnittsbevölkerung und nicht einmal bei den Beherrschten. So wird Kunst als Inspiration wahrgenommen oder als Hassobjekt, das entfernt, zerstört, vergessen werden muss. Aus Anlass des Jahrestages der Ermordung eines Großteils der Charlie Hebdo-Redaktion sprach MIZ mit dem Künstler Jacques Tilly, der mit seinen Großplastiken seit Jahren politische Aktionen der säkularen Szene bereichert.

MIZ: Als du vor vier Jahren von dem Attentat gehört hast, was war dein erster Reflex: „Scheiße, das könnte auch mich erwischen“ oder „Wir müssen sofort ein Zeichen dagegen setzen“?

Jacques Tilly: Ganz klar letzteres. Das 
Charlie-Hebdo-Attentat war ja ein An­schlag auf den subversiven Humor an sich und hatte sich wenige Wochen vor Rosenmontag ereignet, da mussten wir Düsseldorfer Jecken einfach reagieren. Und wir haben gleich vier Wagen zum Thema Islam und Terrorismus fahren lassen – für die anderen Narrenhochburgen gleich mit, denn die hatten sich überwiegend vornehm zurückgehalten.

Angst ist kein guter Ratgeber für einen Berufsspötter. Jeder halbwegs aufgeklärte Mensch weiß doch, dass es ja gerade die Strategie des Terrors ist, durch monströse Unmenschlichkeit seine ansonsten mangelhafte Überzeugungskraft zu kompensieren. Terror appelliert ja gerade an unsere Angst­reflexe, und wenn man diesen erliegt, dann punkten die Terroristen. So einfach ist das.

MIZ: Gab es eigentlich schon Attacken auf deine Kunstwerke?

Jacques Tilly: Rosenmontag glücklicherweise bisher noch nicht. Hilfreich ist hier natürlich, dass alle Wagen von mehreren Personen begleitet werden. Und hier hat sich auch die Geheimhaltung bewährt: Da wir unsere Wagen ja vorher nicht zeigen, kann sich auch langfristig keine Protestwelle aufbauen, die sich dann am Rosenmontag gewaltsam entladen könnte.

Als ich aber während des Welt­jugendtages 2005 mit dem gbs-Dinomobil durch die Straßen Köln fuhr, wurden wir von jungen Christen blockiert und einige begannen schon, an den Figuren herumzureißen. Zum Glück konnten wir mit viel Geschick und List doch noch weiterfahren. Und ein Wagen von mir wurde in Polen mit Farbbeuteln beworfen. Die frische Farbe konnte aber schnell abgewischt werden.

MIZ: Sind für dich Situationen vorstellbar, in denen es sinnvoller sein könnte stillzuhalten?

Jacques Tilly: Meine eigene Gesundheit oder mein Leben kann ich ja gerne riskieren, aber wenn andere Menschen betroffen sein könnten, sollte man genau abwägen, inwieweit man Risiken eingeht. Deshalb habe ich mich mit den Karnevalsoberen auf folgende Formel geeinigt: Götter und Propheten sind tabu, aber das Bodenpersonal kriegt einen drüber. Damit kann ich gut leben.

MIZ: Was kann Kunst in einem solchen Moment des Schreckens denn überhaupt bewirken?

Jacques Tilly: Das Ziel des Terrorismus ist ja nicht die nackte Gewalttat selbst, sondern vielmehr die Erzeugung von Angst. In Umberto Ecos Buch Der Name der Rose heißt es zu Recht: „Lachen ist die Kunst der Vernichtung von Angst“. Worüber wir lachen, davor haben wir keine Angst mehr. Zumindest schaffen wir eine innere Distanz zu unserer Angst und hegen sie damit ein. Darum wird das Lachen so sehr gefürchtet von jenen, die ihre Macht festigen wollen, indem sie Angst erzeugen. So gesehen ist die Kunst des Humors eine wirksame Waffe gegen die Herrschaft des Schreckens. Humor kann sehr weh tun, aber er verletzt nicht physisch, darum ist er eine eher humane Waffe. Ich sehe die Kunst des Humors als ein Element der psychologischen Kriegsführung gegen die Menschenfeindlichkeit.

MIZ: Du hast in einer Rede einmal gesagt, Satire heiße nicht „Draufhauen um jeden Preis“. Das klingt natürlich nobel, aber was bedeutet es für deine tägliche Arbeit?

Jacques Tilly: Alle Kunst ist bekanntlich auch Maß und Verhältnismäßigkeit. Wenn man schon zum Schlag ausholt, dann sollte man den richtigen Punkt treffen – oder es halt sein lassen. Wer keinen Pfeil im Köcher hat, der sollte nicht mit Dreck schmeißen. Auch Satire braucht Substanz, und nichts ist langweiliger als inhaltsleere Provokation um der Provokation willen.

MIZ: Satire wirkt doch in erster Linie kritisch, und als Kunst spricht sie Menschen zunächst emotional an. Wo liegt der Hebel zu beeinflussen, was Menschen aus dem kritischen Anstoß machen?

Jacques Tilly: Satire kann Orientierung geben, und das ist schon einmal sehr viel. Recht komplexe und vielschichtige Situationen oder Probleme werden auf eine einfache Bild- oder Textformel reduziert. Und diese macht eben auch eine klare inhaltliche Position deutlich, eine Sichtweise, eine Haltung. Satire ist ja das vornehmere Wort für Spott. Je zielsicherer der Spötter den Kern einer Sache trifft, desto größer ist die Chance, dass die Wirkung der Satire nicht direkt verpufft, sondern nachhaltig ist.

Und natürlich sollte man die Effekte von Karnevalswagen nicht überschätzen, da muss man auf dem Teppich bleiben. Andererseits besteht aber auch kein Anlass, sie zu unterschätzen. Sie sind ein Beitrag im Strom der kollektiven Meinungsbildung, nicht mehr und nicht weniger.

MIZ: Konkret nachgefragt: Wie lässt es sich machen, dass Kritik an aus dem Islam begründeten reaktionären gesellschaftlichen Vorstellungen, also an der religiösen Rechten, kein Wasser auf die Mühlen der rassistischen Rechten leitet?

Jacques Tilly: Dagegen ist leider kein Kraut gewachsen. Viele meiner islamkritischen Arbeiten habe ich etwa im Internetforum Politically Incorrect wiedergefunden. Einmal hatte die rechte Zeitschrift Compact, die Hauszeitung der Identitären, einen Wagen von mir auf der Titelseite.1 Doch ich muss hier auf Michael Schmidt-Salomon verweisen, der immer wieder betont, dass die Güte eines Arguments zählen sollte und nicht die Frage, ob man eventuell Beifall von der falschen Seite bekommt. Lagerdenken führt nur in die Sackgasse. Hilfreich ist hier natürlich, dass ich regelmäßig alle politischen Lager „bediene“. Über die Wagen von 2017 und 2018, die überwiegend den Rechtspopulismus aufs Korn nahmen, konnten die Rechten diesmal nicht lachen. Der Shitstorm steigerte sich bis hin zu Morddrohungen. Doch bei mir wird niemand bevorzugt, indem er verschont wird.

MIZ: Droht da manchmal die Gefahr, auf ein richtig gutes Bild oder eine treffende Pointe zu verzichten?

Jacques Tilly: Da habe ich wenige Hemmungen. Wenn ein Bild gut und politisch richtig ist, dann nehme ich es. Ich mache nur eine Ausnahme: Ich werde nie einen israelkritischen Wagen bauen – auch wenn ich kein Freund der Netanjahu-Regierung bin und mich eher in den Reihen der israelischen Friedensbewegung verorten würde. Denn die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus ist bekanntlich fließend, und ich würde es mir nicht verzeihen, widerlichen Antisemiten noch Munition geliefert zu haben.

MIZ: Wie schätzt du deine eigene Wirkung mit den Motivwagen des Düsseldorfer Karnevalszuges ein? Du wirst damit ja für Millionen Menschen sichtbar, die aber teilweise nur einen Wagen für fünf Sekunden in der Tagesschau sehen...

Jacques Tilly: Einspruch! Die Wagen von 2017 etwa waren in 80 Ländern der Erde auf allen Kontinenten über 1500-mal in den Online-Medien. In den sozialen Netzwerken entfalten sie eine große Wirkung und auch noch die Printmedien tragen enorm zu ihrer Verbreitung bei. Die Wagen werden in der Tat weltweit gesehen und verstanden. Ein größeres Publikum kann man sich gar nicht wünschen. Dazu kommt ja, dass einige Wagen noch immer im Ausland fahren, in Tschechien, Polen und England. Die dortigen Aktivisten waren und sind sehr dankbar für die pointierten dreidimensionalen Bilder, die ich ihnen geliefert habe. So etwas kennen sie in ihren Heimatländern nicht. Vor allen nicht in dieser Schärfe.

MIZ: Die humanistische Gesellschaft muss doch ein Schrecken für dich sein: alle streben nach Aufklärung, alle gehen zivilisiert miteinander um, der Satiriker ist arbeitslos...

Jacques Tilly: Natürlich wünsche ich mir nichts sehnlicher, als auf diese schöne Weise arbeitslos zu werden. Keine Finsterlinge und empathielosen Gewaltmenschen mehr an der Macht, das wäre doch ein Traum. Klar ist ein Monstrum wie Trump eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Zunft der Humoristen, aber wer sich darüber freut, ist ziemlich verantwortungslos.

Doch selbst wenn wir einmal in einer idealen Gesellschaft leben würden – falls so etwas überhaupt erstrebenswert ist – dann hätten wir noch viel zu lachen über die Abgründe unserer menschlichen Säugetierexistenz.

MIZ: Und wie sähe deine gesellschaftliche Utopie aus?

Jacques Tilly: Je mehr unsere Gesell­schaft und die nationalen und internationalen Institutionen von Wutbürgern, Internettrollen, Reichs­bürgern, Iden­titären und sonstigen paranoiden Ver­schwörungsspinnern angegriffen und diffamiert werden, desto eher stelle ich mich davor und verteidige diese. Nicht ganz zu Unrecht wurde ich schon als „Systemhure“ beschimpft. Deshalb träume ich gar nicht mehr den Traum einer ganz anderen Welt, einer großen Alternative. Ich würde mich schon freuen, wenn wir die jetzigen humanen Standards auch noch in den nächsten Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten halten könnten.

Anmerkung:

1 Anm. der Redaktion: Für das Titelbild von Compact wurde ein Foto eines von Jacques Tilly gebauten Karnevalswagen verwendet, das während des Düsseldorfer Karnevalszuges aufgenommen worden war.