MIZ 4/18

100 Jahre Waldorfschule

Zur Kritik des reaktionären anthroposophischen Weltbildes
Porträt Gunnar Schedel, Foto: privat
Editorial

Moderne Reaktionäre

Gunnar Schedel

Anthroposophie polarisiert. Das erfährt schon, wer mit Menschen spricht, die eine Waldorfschule besucht haben. Bei „normalen“ Ex-Schülern ergibt sich in der Rückschau die „Normalverteilung“: Einige (wenige) erinnern sich an Schule als die schönste Zeit ihres Lebens, einige (wenige) können nur mit Schrecken daran denken und die große Mehrheit sieht Licht und Schatten, hat das Gefühl, die Schule halbwegs oder zumindest irgendwie gemeistert zu haben, blickt jedenfalls ohne allzugroße Emotionen zurück. Ganz anders ist das nach meiner Erfahrung bei Waldorfschülern. Hier ist diese Gruppe die kleinste, und ihr stehen zwei etwa gleich große Blöcke gegenüber, die mit strahlender Begeisterung bzw. heftiger Ablehnung an ihre Waldorfschulzeit zurückdenken.

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Schwerpunktthema

Schwerpunktthema

„Eine wissenschaftliche Erforschung 
der geistigen Welt“
Anthroposophie zur Einführung

Ansgar Martins

Anthroposophie – berichtet ihr Erfinder Rudolf Steiner (1861–1925) – „ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum 
Geistigen im Weltenall führen möchte“.1 Es geht also zunächst um zweierlei „Geistiges“: im „Menschenwesen“ und im „Weltenall“. Anthroposophie ist der „Erkenntnisweg“, der dem menschlichen Geist bewusst machen soll, dass auch das All geistig ist. Entspre­chend heißt Steiners Gegner „Materialismus“, worunter er vor allem die Leugnung des allumfassenden Geistes versteht. Die Mission der Anthroposophie besteht darin, „den Materialismus“ zu überwinden und die Menschheit in ein neues, spirituelles Zeitalter zu geleiten.

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Das Goetheanum in Steiners Sterbeort Dornach (Schweiz) ist der Sitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, die bis heute an die Verbreitung von Steiners antiintellektueller Agenda arbeitet. (Foto: © CC0 Public Domain/pixabay.com)
Schwerpunktthema

Von Seelenmumien und Christusbewusstsein
Antiintellektualität in der Anthroposophie

Ann-Kathrin Hoffmann

Mit der Gründung der ersten Waldorfschule vor 100 Jahren ist Rudolf Steiner angetreten, ein Gegenmodell zur materialistischen Gesellschaft und eine heilende Antwort auf die Entfremdung und „leere Rationalität“ seiner Zeit anzubieten. In der Analyse seines Intellektualitätsbegriffs zeigt sich einerseits, wie untrennbar die weltanschaulichen, erkenntnistheoretischen und pädagogischen Vorstellungen in der Anthroposophie miteinander verwoben sind. Andererseits offenbart sich darin, dass Steiner mit seiner „Geisteswissenschaft“ weniger ein Prophet als Kind seiner Zeit war.

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Die sog. Stuttgarter Erklärung von 2007 ist einer der wiederkehrenden Versuche, die Waldorfschulen der Öffentlichkeit als frei von Rassismus zu präsentieren.
Schwerpunktthema

Waldorfschulen – Erfolgsmodell mit Schattenseiten

André Sebastiani

In diesem Jahr feiern die Waldorfschulen den hundertsten Jahres­tag der Gründung der ersten Schule mit anthroposophischem Unter­richtskonzept in Stuttgart durch den Direktor der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik, Emil Molt. Auf Bitten Molts übernahm Rudolf Steiner, der, von einer Tätigkeit als Hauslehrer abgesehen, keinerlei pädagogischen Hintergrund hatte, die Ausbildung und Beratung des Lehrerkollegiums der ersten Waldorfschule. Die Waldorfschulen begehen ihr Jubiläum geradezu euphorisch, mit zahlreichen Aktio­nen und Veranstaltungen. Sie blicken mit Stolz auf das zurück, was ihrer Meinung nach eine einzige Erfolgsgeschichte ist.

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Schwerpunktthema

Störungen des Mondorgans

Colin Goldner

Die anthroposophische Heilkunde ist untrennbar mit der Figur ihres Begründers, des Okkultfunktionärs Rudolf Steiner (1861–1925), verbunden. Schon in früher Kindheit, wie die Legende es formuliert, sei Steiners „primäre Erfahrung die der Welt des Seins hinter der sinnlichen Welt“ gewesen. Als junger Erwachsener entwickelte er Symptome, die, aus heutiger psychiatrischer Sicht, auf den Beginn einer schizoiden Persönlichkeitsstörung hinweisen. Die von ihm ab Anfang der 1920er entwickelten Vorstellungen einer „geisteswissenschaftlichen“ Heilkunde sind, wie auch seine sonstigen Beiträge zu Pädagogik, Psychologie, Kunst, Philosophie und anderem, durchzogen von Ideen und Begrifflichkeiten, die sich ihm in „mystischer Schau“ offenbart hätten. Steiners Vorstellungen stehen in diametralem Widerspruch zu den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft.

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Schwerpunktthema

Anthroposophie und (Anti-)Impfen

Natalie Grams

Ärztinnen und Ärzte, die die anthroposophische Medizin anwen­den, würden sich selbst wohl nicht als „Impfgegner“ bezeichnen – und doch raten sie oft vom Impfen ab. Das bewährte Impfschema der zuständigen Experten der Ständigen Impfkommission (STIKO) lehnen sie ab. Sie bevorzugen ein eigenes, individuelles Impf­schema, die sogenannte „eigenverantwortliche Impfentscheidung“, deren hauptsächlicher Proponent der der Anthroposophie nahe­stehende Verein Ärzte für eigenverantwortliche Impfentscheidung ist.

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Staat und Kirche

Staat und Kirche

Kurs halten beim Berliner Neutralitätsgesetz

Jacqueline Neumann

Um es gleich vorweg zu nehmen: Gegen die Beibehaltung des Berliner Neutralitätsgesetzes gibt es auch nach der jüngsten Gericht­entscheidung keine ernsthaften juristischen Bedenken. Im Gegen­teil. Die übrigen Bundesländer sollten sich ein Beispiel an dem Gesetz nehmen und ebenfalls entsprechende Regelungen erlassen. Das Neutralitätsgesetz ist eine vorbildliche Rechtsnorm in einem Staat, in dem Menschen unterschiedlicher weltanschaulicher Über­zeugungen zusammenleben.

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Die engagierte Katholikin Sylvia Löhrmann spielte bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts eine zentrale Rolle. (Foto: © Deutscher Bundestag/Lichtblick/ Achim Melde)
Staat und Kirche

Islamischer Religionsunterricht in NRW

Vera Muth

Am 31. Juli 2019 läuft in NRW ein 2011 beschlossenes, eigentlich grundgesetzwidriges Gesetz zur Einführung des islamischen Reli­gionsunterrichts (IRU) aus. Die Politik hatte sich durch ein­seitige religionspolitische Beratung, dem stets drohenden Vorwurf des „antimuslimischen Rassismus“ (eine Variante der Islamophobie) und dem geschickten Lobbyismus der Fundamentalisten in Nadelstreifen und der Kirchen unter Druck setzen lassen.

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Staat und Kirche

Deutsche Privilegien für kirchliche Arbeitgeber wanken
Bundesarbeitsgericht erteilt „Ungleichbehandlung“ Absage

Corinna Gekeler

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) erteilte dem deutschen Sonderweg im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Oktober 2018 mit klaren Worten eine Absage: Die Anforderung „Kirchenmitgliedschaft“ bei der Besetzung einer Koordinationsstelle durch die Diakonie Deutschland war nicht gerechtfertigt. Die „Kirchenklausel“ des AGG muss unangewendet bleiben, da sie nicht der EU-Richtlinie zum Diskriminierungsschutz von Beschäftigten entspricht. Gerichte haben jede Form der Ungleichbehandlung durch kirchliche Arbeitgeber genaustens zu prüfen.

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Staat und Kirche

Trennung von Staat und Kirche 
in Griechenland

Gerhard Rampp

Die griechische Regierung hat einen 15-Punkte-Plan vorgelegt, der das Verhältnis von Staat und orthodoxer Kirche modernisieren soll. Der Deal zwischen Ministerpräsident Tsipras und Erzbischof Ieronymos von Athen wurde am 6.11.2018 verkündet, war aber sowohl innerhalb des Klerus als auch der säkularen Parteien umstritten. Der Hintergrund: Eine der nie erfüllten Beitritts­bedingungen für die griechische Mitgliedschaft in der damaligen 
EG war die Trennung zwischen Staat und Kirche.

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Prisma

Prisma

Durba Zahan vorerst in Sicherheit

Mahmudul Haque Munshi

Das erste Mal begegnete mir Durba vor acht Jahren auf dem Blog Somewhereinblog.net, dem größten bengalischen Blog, für den auch ich schrieb. Die Thesen das Artikels, den sie dort veröffentlicht hatte, waren für den Zustand unserer Gesellschaft gewagt und dazu noch von einer jungen Frau geschrieben. Ich fragte mich, wer diese Frau war. Wie konnte Sie so unverblümt schreiben, ohne Angst vor Verfolgung und Druck von Seiten der Familie? Wusste diese überhaupt davon?

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Prisma

„Worüber wir lachen, davor haben wir keine Angst mehr“
Ein Gespräch mit Jacques Tilly über Kunst, Kritik und 
die real existierende Demokratie

Redaktion MIZ und Jacques Tilly

Kunst lebt davon, von den alltäglichen Normen abzuweichen. Kunstwerke missachten gesellschaftliche Konventionen und verstoßen gegen politische Korrektheit – und sind genau deshalb in der Lage, neue Perspektiven auf Gesellschaft und Politik zu eröffnen. Das stößt nicht immer auf Zustimmung, nicht bei den Herrschenden, aber ebensowenig in der Durchschnittsbevölkerung und nicht einmal bei den Beherrschten. So wird Kunst als Inspiration wahrgenommen oder als Hassobjekt, das entfernt, zerstört, vergessen werden muss. Aus Anlass des Jahrestages der Ermordung eines Großteils der Charlie Hebdo-Redaktion sprach MIZ mit dem Künstler Jacques Tilly, der mit seinen Großplastiken seit Jahren politische Aktionen der säkularen Szene bereichert.

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„Wir wollen Brot auf dem Tisch haben! Religion ist euer Problem nicht unseres!“
Interview mit Anna Ritter zur Situation im Iran 40 Jahre nach der Islamischen Revolution

Anna Ritter

Vor 40 Jahren, im Januar 1979, floh der letzte Schah, Mohammad Reza Pahlavi, vor den Protesten gegen seine Herrschaft. Der Traum von einem fortschrittlichen Iran war kurz, innerhalb weniger Monate setzte sich unter der Führung des schiitischen Geistlichen Ruhollah Chomeini der religiöse und konservative Teil der Oppositionsbewegung durch und etablierte eine „Islamische Republik“, die ihre Kritiker/innen mit brutaler Gewalt verfolgte.
Vor einem Jahr richtete die internationale Medienöffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit wieder einmal auf den Iran, weil Menschen auf den Straßen öffentlich gegen das Regime protestierten. Für die MIZ-Redaktion sprach Nicole Thies mit der Exiliranerin Anna Ritter über die Proteste, die Situation und die Forderungen der Protestierenden.

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