Ein gutes Leben für alle
Mit dem Thema „Gesundes und gutes Leben für Alle?!“ befasste sich eine Tagung auf der Insel Langeoog. Das Bundesverfassungsgericht hatte ein Recht auf Zukunft postuliert und die Bundesregierung aufgerufen, die Klimakosten nicht auf die nächste Generation abzuwälzen. So stellte sich die Frage: „Was bedeutet Recht auf Gesundheit und Zukunft?“
Cornelia Niklas von der Deutschen Umwelthilfe kam zu der Einschätzung, dass die derzeitigen deutschen Gesetze den vereinbarten Pariser Klimazielen nicht genügen. Teilweise würde versucht, die notwendigen Regelungen auf die Bundesländer abzuschieben. Dazu gäbe es bereits eine Reihe von Beschwerden, bei deren Beantwortung ausdrücklich die Zuständigkeit des Bundes festgestellt wurde. Die anschließende Diskussion drehte sich dann vor allem um die Diskrepanz, zwischen dem Recht auf Energieversorgung und dem auf Zukunft.
Reinhard Koppenleitner von der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit verwies auf globale systemische Folgen der derzeitigen Politik. Im anschließenden Workshop ging es um Fragen nach dem Verhältnis von europäischem und nationalem Recht bzw. um Schuld, Verantwortung, Täterschaft. „Eigentum verpflichtet“ – was bedeutet dieser Satz aus der deutschen Verfassung für uns heute? Wie kann das Recht zu überleben, so gestärkt werden, dass der Planet Erde weiter von Menschen bewohnbar bleibt? Wer definiert, was Luxus ist?
Folgerichtig war der zweite Tag der Frage gewidmet „Wie geht selbstbestimmte Gesundheit in Konflikten?“ Dazu führte Gerhard Tiemeyer die Teilnehmenden über den Mythos des Odysseus an das Thema heran. Danach sprach Judith Schmid (scientists for future) über das Thema Klimagefühle. Es ging um Kontrollverlust, Kontrollillusion, Egoismus, Bequemlichkeit, das Fehlen von kurzfristigen Ergebnissen bzw. Belohnungen und immer wieder um den Satz „Die Erde braucht uns nicht, um zu überleben, aber wir brauchen die Erde, um zu überleben“.
Der dritte Tag befasste sich mit der Problematik: „Wie geht solidarische Gesundheit in der Praxis?“ Viele Menschen benötigen u.a. wegen Armut, Krankheit und krisenbedingter Notlagen, soziale und solidarische Unterstützung. Dies erläuterten Nicole Thies (DaMigra) am Beispiel von Frauen mit verschiedenen Aufenthaltstiteln in Deutschland, und Grit Schnitzhofer (Deutsch-Muslimisches Tandem) speziell am Beispiel muslimischer Frauen in Deutschland. Beide Referentinnen verwiesen auf den gender migration pay gap, auf die fehlende dauerhafte Anerkennung des Aufenthaltsstatus der Frauen und damit auf fehlende dauerhafte Arbeitsmöglichkeiten sowie auf spezielle Probleme bei der Wahrnehmung von gesundheitlichen Leistungen. Vielfach gibt es Diskriminierungserfahrungen sowohl in der 1. als auch in der 2. und 3. Generation.
Hieran schloss sich der Beitrag von Gerhard Trabert an (Vorsitzender des Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.) über die Situation bei der Versorgung obdachloser Menschen im reichen Deutschland.
Nach einem Tag mit einer Schreibwerkstatt zum Thema „Imperiale Lebensweise und solidarische Alternativen“ fasste der letzte Tag die gesamten Überlegungen nochmals zusammen unter den Gesichtspunkten „Achtsamkeit und Wirksamkeit“ und „Wie geht gewaltfreie Kommunikation?“
Viola Schubert-Lehnhardt
30 Jahre HVD
Am Samstag, dem 24. Juni, feierte der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) in Neu-Isenburg sein 30-jähriges Bestehen. Fast zehn Stunden lang gab es Reden und Häppchen, Diskussionen und Improvisationstheater, Wäscheleinofonmusik und Gespräche bei einer Tasse Kaffee...
Zunächst erzählte der langjährige Geschäftsführer des HVD Berlin Manfred Isemeyer aus den frühen Jahren des Bundesverbands, berichtete über schwierige Verhandlungen in der Gründungsphase und ließ erkennen, dass der HVD nicht überall so erfolgreich war wie in Berlin. Interessant war insbesondere der Rückblick auf die Debatten über die inhaltliche Ausrichtung des HVD, die einen gesellschaftskritischen Ansatz und den Einstieg in die sozialen Dienstleistungen miteinander zu vereinen suchten.
In Podiumsrunden ging es um die Frage, wie politisch säkulare Weltanschauungen sein sollten, und den großen Themenbereich „Humanismus und Lebenssinn“. Martin Mettin hatte für die letztere Gesprächsrunde mit einem Vortrag den Input gegeben. In einer weltweiten Perspektive wäre es notwendig, zunächst einmal die Bedingungen herzustellen, dass Menschen überhaupt in der Lage wären, ihrem Leben Sinn zu geben. Wer Hunger leide oder auf der Flucht sei, werde kaum über Selbstbestimmung und Glück nachdenken, sondern – naheliegend – das eigene Überleben sichern. Insofern bleibe es eine drängende, unabgeschlossene Aufgabe, die Welt zu Humanisieren. Sein Fazit: „Engagement macht Sinn – und kann Sinn stiften.“
Kontrovers wurde im Anschluss an einen Vortrag von Dorothea Winter diskutiert, ob Humanismus und Künstliche Intelligenz zusammengehen. Am Ende neigte sich die Waage leicht auf die Seite derjenigen, die Transhumanismus und KI mit Zurückhaltung begegnen möchten.
Als der Abend mit Musik ausklang saßen viele, die sich von früher kannten, draußen und plauderten. Über die gemeinsamen Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte und die Perspektiven für eine humanistische Zukunft.
Zwischen Genie und Wahnsinn
Das Anfang 2017 gegründete Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes, hat das Ziel, Wissenschaftler:innen und interessierte Öffentlichkeit ins Gespräch zu bringen. Kortizes wird verstanden als Gehirne, die sich in diesem populärwissenschaftlichen Diskurs vernetzen.
Das Kortizes-Symposium 2022 widmete sich der Frage, welche Einzelfähigkeiten am Ende den Menschen ausmachen und wovon deren Ausprägung abhängt. Einführend gingen sowohl Rainer Rosenzweig in seiner Begrüßung als auch der erste Referent, Johannes Kornhuber (Psychiater und Psychotherapeut), auf Menschen ein, die als Genie bezeichnet werden und im Laufe ihres Lebens an einer psychischen Störung litten. Im Laufe Vorträge wurde auf zahlreiche Studien verwiesen, die Belege für Zusammenhänge von psychischen Störungen und Kreativität gezeigt haben. Allerdings sind diese weder kausal noch permanent. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurden außerdem die Begriffe Kreativität und Genie hinterfragt. Zurecht wies Julia Köhne darauf hin, dass der Begriff „Genie“ ausschließlich männlich konnotiert ist.
Weiterhin wurden Fragen danach beleuchtet, ob es eine Beziehung zwischen autoritären Staaten und Kreativität gibt. (Für viele Wissenschaftler:innen sei Freiheit wichtiger als Einkommen). Gibt es auch destruktive Genies bzw. ist es in kriegerischen Auseinandersetzungen von Vorteil, wenn der oberste Heerführer zum Wahnsinn neigt?
Ein anderer Schwerpunkt war der Begriff „Persönlichkeit“ und die Möglichkeiten ihrer Vermessung. Erläutert wurden nicht nur verschiedene Testverfahren und mögliche Täuschungen, sondern auch die aus ihnen resultierenden Möglichkeiten, unterschiedliches Verhalten von Menschen in gleichen Situationen vorherzusagen. Hieran schloss sich ein Disput darüber an, ob das menschliche Gehirn eine „Problemlösungsmaschine“ oder eine „Vorhersagemaschine“ sei. Nicht ganz ernst gemeint, jedoch durchaus diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Aussage, dass „die Fähigkeit philosophische Bücher zu schreiben kein evolutionärer Vorteil sei“…
Der Zusammenhang von Genie und Wahnsinn wird überwiegend in Bezug auf Künstler:innen hergestellt. Daher wurde vor allem im Beitrag von Christian Maihöfner (Chefarzt der Neurologischen Klinik am Klinikum Fürth) auf Möglichkeiten des Einsatzes von Kunsttherapie bei der Behandlung von Schlaganfallpatient:innen, in der Suchttherapie u.a.m. eingegangen, Kunst aktiviere das Belohnungszentrum im Gehirn. Gerade in dieser Hinsicht wurde kritisch hinterfragt, warum in der schulischen Ausbildung zunehmend diese Fächer gekürzt bzw. gestrichen werden. Ebenfalls missbilligend hinterfragt wurde zu Recht, warum einerseits umfangreiche Forschungsgelder zur Erhöhung der Kreativität eingestellt und ausgegeben werden, anderseits kaum/keine finanziellen Mittel da seien, um hochbegabte Kinder entsprechend zu fördern bzw. sie zunächst als solche zu erkennen und zu behandeln und ihnen so vielfaches Leid durch falschen Umgang mit ihnen in den Schulen zu ersparen.
Abschließend erwähnt sei noch der Beitrag von Henrik Walter (Psychiater, Psychotherapeut und Hirnforscher) unter der Überschrift „Keine Rose ohne Dornen“, der zum einen auf Liebeskummer und praktische Hinweise zum Umgang mit den Betroffenen einging, zum anderen aber auch auf Verschwörungstheoretiker:innen bzw.
den Unterschied zwischen Verschwörungstheorien und Paranoia.
Wie immer wurden alle Vorträge mitgeschnitten und können beim Veranstalter in Buchform oder digital bestellt werden.
Viola Schubert-Lehnhardt