Nguyen-Kim, Mai Thi: Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit. Wahr, falsch, plausibel? Die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft. Droemer Verlag, München 2021. 367 Seiten, gebunden, Euro 20.-, ISBN 978-3-426-27822-2
Glücklicherweise hat sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Wissenschaftsvermittlung einiges getan. Man denke nur an die Wissenschaftssendungen Quarks und Leschs Kosmos oder an den Podcast Das Coronavirus-Update im NDR. Harald Lesch und Christian Drosten sind bundesweit bekannte und beliebte Wissenschaftler, die die Fähigkeit besitzen, Wissenschaft anschaulich und nachvollziehbar zu vermitteln, ohne dabei zu Vereinfachungen zu neigen. Neben TV-Sendungen und Radio-Podcast bieten die Social Media Plattformen ebenfalls die Möglichkeit, Themen aus der Wissenschaft zu präsentieren, um so bei jungen Menschen Interesse für das weite Feld der (Natur)Wissenschaft zu wecken. Als Shootingstar gilt Mai Thi Nguyen-Kim.
Die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin, bekannt durch ihren 2016 gestarteten YouTube-Kanal maiLab, hat in diesem Jahr ihr zweites Buch veröffentlicht: Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit. Das klingt philosophisch. Tatsächlich erörtert die Autorin acht kontrovers diskutierte wissenschaftliche Fragen und zeigt anhand dieser Beispiele, wie wichtig es ist, wissenschaftlichen Erkenntnissen zu folgen, sich aber zugleich der Auseinandersetzung zu stellen. Kein Eisen ist ihr zu heiß. Ob nun die Legalisierung von Drogen, Erblichkeit von Intelligenz oder Tierversuche.
Nguyen-Kim beschäftigt sich in ihrem Buch viel mit wissenschaftlichen Methoden. Das ist ihr deshalb wichtig, weil mit einem besseren Verständnis davon, wie Wissenschaftler_innen arbeiten, die Laien besser verstehen, wie die Wissenschaft zu Erkenntnissen gelangt, wie Wissenschaft funktioniert und was in der Wissenschaft als Konsens angesehen wird. Was zählt, ist nicht die Mehrheit, wie in einer demokratischen Wahl, sondern die stärkste Evidenz. Der Untertitel „wahr, falsch, plausibel?“ verdeutlicht dieses Anliegen.
Die aktuelle Corona-Pandemie, die bereits im vollen Gange war, als Nguyen- Kim ihr Buch gerade schrieb, ist ein gutes Bespiel für das Verstehen ihres Anliegens ebenso wie für das bessere Verständnis vom Funktionieren wissenschaftlichen Arbeitens, wenn sie schreibt: „Wozu auf die Wissenschaft hören, hat sich so mancher während der Corona-Pandemie gefragt, die irren sich doch eh ständig. Dabei übersehen wir, dass der Unterschied zwischen jemandem, der immer recht hat, und jemandem, der oft irrt, oft nur darin liegt, dass Letzterer seinen Irrtum einsieht.“
Nguyen-Kims Buch ist unterhaltsam geschrieben und bietet in neun Kapiteln einen guten Überblick zu spannenden populärwissenschaftlich aufbereiteten Themen. Was das Buch interessant macht, ist, dass die Autorin die für Wissenschaftler_innen übliche trockene und unnahbare Form des Schreibens vermeidet und, wie in ihren Videos, die Leser_innen direkt anspricht. Darüber hinaus regt Nguyen-Kim ihre Leser_innen zur Hinterfragung eigener Standpunkte an.