Constantin Klein ist Diplom-Psychologe und Diplom-Theologe. Er arbeitet an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld mit dem Schwerpunkt Religionspsychologie.
MIZ: Sind Frauen religiöser als Männer? Wenn ja: warum?
Constantin Klein: Ja und nein. Zwar wird von einigen prominenten Forschern immer wieder behauptet, dass Frauen prinzipiell religiöser seien als Männer, und es werden dafür auch umfangreiche theoretische Erklärungen postuliert, z.B. eine grundlegende größere Risikobereitschaft der evolutionär bedingt stärkeren und schnelleren Männer. Weil es der Theorie zufolge nun mit Blick auf mögliche Bestrafungen im Jenseits riskanter sei, nicht an Gott zu glauben, seien Männer häufiger atheistisch als Frauen. Präzisere Untersuchungen und auch meine eigenen Forschungsergebnisse sprechen aber dafür, dass es keineswegs einen grundsätzlichen Geschlechtsunterschied hinsichtlich der Religiosität gibt. Insofern sind evolutionstheoretisch argumentierende Begründungen auch nicht weiterführend.
Wahr ist hingegen, dass sich in vielen westlichen, vom Christentum geprägten und teils auch nach wie vor dominierten Kulturen mehr Frauen als Männer als religiös bezeichnen. Auch praktizieren Frauen hier in stärkerem Umfang ihre Religiosität. Das ist interessanter Weise übrigens auch bei konfessionell nicht gebundenen Frauen der Fall und hat vermutlich damit zu tun, dass im Zuge der Herausbildung der modernen westlichen Geschlechtsrollenbilder in den letzten 200 Jahren Religiosität lange als etwas „Weiches“, „Irrationales“ und damit auch „Feminines“ aufgefasst worden ist und insofern bis heute eher „weiblich“ konnotiert ist.
Auffällig ist jedoch auch, dass dieser Geschlechtsunterschied auch in den anderen monotheistischen Religionen, Judentum und Islam, eher zu beobachten ist als etwa in Hinduismus und Buddhismus. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass die unterschiedlich ausgeprägte Religiosität auch mit dem Gottesbild der drei abrahamitischen Religionen zusammenhängt. Da Frauen in stärkerem Umfang als Männer angeben, positive religiöse Gefühle wie Trost und Geborgenheit zu verspüren, könnte es sein, dass sie empfänglicher für psychohygienische Potenziale eines (traditionell eher maskulin vorgestellten) Gottesbilds
sind.
MIZ: Kirchengemeinden strotzen vor aktiven Frauen, und auch in Esoterikläden ist das Publikum meistens weiblich. Aktive Atheistinnen gibt es dagegen nur wenige. Überhaupt ist der Anteil von Frauen in Atheistenverbänden sehr gering. Wie erklären Sie sich diesen Sachverhalt?
Constantin Klein: Während ich mich bei der Beantwortung der vorigen Frage auf
zahlreiche sozialwissenschaftliche Studien stützen konnte, bin ich hier weitgehend auf Vermutungen angewiesen, weil es bisher noch relativ wenig Forschung zu den weltanschaulichen Vorstellungen von AtheistInnen, zum weltanschaulichen Engagement und zu den dahinter wirksamen Motiven gibt. Ich kenne bisher keine Untersuchung, die sich dabei speziell mit der Frage des Geschlechts auseinandergesetzt hat, was wohl auch an der mangelnden Repräsentativität bisheriger Studien liegt.
Eine wesentliche Ursache für den von Ihnen beschriebenen Sachverhalt könnten sicherlich die schon angesprochenen Geschlechtsrollenbilder sein. In unserer Kultur war Rationalität lange Zeit „männlich“ konnotiert – die großen Denker, insbesondere die Naturwissenschaftler, waren Männer, denen auch bis heute häufig ein höheres mathematisches Verständnis und höhere technische Fähigkeiten zugesprochen werden. Frauen konnten hingegen eher durch ihr soziales Engagement oder gegebenenfalls ihr künstlerisches Talent zu Ansehen gelangen (was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch brillante Naturwissenschaftlerinnen gegeben hat – aber bei ihnen wird bis heute oft explizit, fast staunend oder irritiert, erwähnt, dass sie „als Frau“ ihre bemerkenswerten Leistungen erbracht haben). Da diese Geschlechtsrollenbilder immer noch wirkmächtig sind, könnte dies ein Grund dafür sein, dass es Frauen eher schwerer und Männern eher leichter fällt, sich für die Durchsetzung eines naturwissenschaftlichszientifischen Weltbilds zu engagieren – bzw. dass ein entsprechendes Engagement weiblicher Atheisten gesellschaftlich negativer sanktioniert wird als bei männlichen Vertretern.
Ein weiterer Grund könnte in der Gruppengröße und -struktur atheistischer
Verbände liegen. Die meisten entsprechenden Verbände weisen – verglichen
mit den großen religiösen Gemeinschaften – sowohl in absoluten Zahlen als auch auf Ebene der Ortsverbände eher kleinere Mitgliederzahlen auf. Auch in kleineren
religiösen Gemeinschaften ist das Geschlechterverhältnis tendenziell ausgeglichener als in den Großkirchen oder im diffusen Feld der institutionell nicht verfassten Esoterik. Insbesondere in denjenigen Gruppierungen, die eine besonders prägnante religiöse Position vertreten, z.B. evangelikale oder fundamentalistische Gruppen, lassen sich anteilig auffällig mehr Männer finden. Ohne Vertreter von Atheistenverbänden pauschal mit religiösen Fundamentalisten in einen Topf werfen zu wollen, scheint es zumindest, dass Männer stärker dazu tendieren, besonders fokussierte und gegebenenfalls „extremere“ Weltbilder zu vertreten. Entsprechende weltanschauliche Positionen sind nun eben eher für kleinere Gruppen charakteristisch, wo Männer dann sichtbarer als Wortführer in Erscheinung treten. Während es im religionslosen Spektrum durchaus sehr viele konfessionslose Frauen gibt, machen sich anscheinend nur wenige von
ihnen für einen dezidiert ideologischen Atheismus stark. Aber damit bewege ich
mich, wie gesagt, lediglich auf der Ebene von Vermutungen.
MIZ: Frauen in aller Welt tragen religiöse Strukturen sehr stark mit (durch religiöse Kindererziehung etc.), obwohl sie selbst an der Macht innerhalb dieser Strukturen nicht teilhaben, von den meisten Religionen sogar als minderwertig betrachtet und unterdrückt werden. Warum werden Religionen Ihrer Meinung nach trotzdem so stark von Frauen mitgetragen?
Constantin Klein: Das ist ein Phänomen das mich auch erstaunt. Anscheinend werden bestehende Einschränkungen aber in der Wahrnehmung vieler religiöser Frauen durch all das, was sie subjektiv durch ihre Religiosität empfangen, mehr als kompensiert. Ich bemerke das z.B. immer wieder im Gespräch mit aufgeklärten muslimischen Kolleginnen, die mir die Vorzüge der islamischen Geschlechterrollen zu erläutern versuchen. Eine Rolle spielt möglicherweise auch, dass kulturübergreifenden Studien zufolge das Bedürfnis nach Macht für Frauen weniger zentral zu sein scheint als für Männer (auch wenn der Unterschied nur gering ist) und dass ein Machtverzicht demnach womöglich nicht so sehr als starke Einschränkung empfunden wird.
Literatur zum Thema von Constantin Klein: Constantin Klein: Religiosität als Gegenstand der Psychologie. Rahmenbedingungen einer empirischen Religionspsychologie. Saarbrücken 2008.