Prisma | Veröffentlicht in MIZ 1/23 | Geschrieben von Romo Runt

Atheist Day 2023

Auch dieses Jahr fanden am 23. März anlässlich des Atheist Day einige Aktionen statt, die an die Diskriminierung und Verfolgung von Ungläubigen weltweit erinnern sollten. Erstmals wurde von Projekt 48 eine Liste der säkularen Gefangenen veröffentlicht, die das Schichsal von fünf Oppositionellen in vier Ländern – stellvertretend für alle anderen – dokumentierte.

Was für die Frauen der 8. März oder die abhängig Beschäftigten der 1. Mai 
ist, soll für Konfessionslose und Un­gläubige in absehbarer Zeit der 23. März 
sein: der Tag, an dem sie gemeinsam öffentlich sichtbar für ihre Rechte kämpfen. In den vergangenen Jahren gab es ausschließlich Fotoaktionen in Sozialen Medien, wobei Aktivist:innen „Gesicht zeigten“ und mit Slogans für Weltanschauungsfreiheit eintraten. Dieses Jahr hat die Liste der säkularen Gefangenen, die Projekt 48 mithilfe vor allem der Säkularen Flüchtlingshilfe und des Zentralrats der Ex-Muslime er­stellt hat, erstmals auch direkt von Ver­folgung Betroffenen zumindest einen Namen gegeben.

Die Idee hinter The List, die von nun an jährlich erscheinen soll, ist zum einen, die Bedrohung der Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit anhand konkreter Fälle erfahrbar werden zu lassen. Zum anderen bietet die kontinuierliche Pflege der Liste eine weitere Gelegenheit zu transnationaler Zusammenarbeit und stärkt die Ver­netzung der säkularen Kräfte weltweit (was angesichts der Vorherrschaft identitärer Diskurse wichtiger denn je erscheint). Möglicherweise kann daraus sogar Kampagnen entstehen, die den einen oder anderen Gefangenen der Freiheit näherbringen.
Fotos in den Sozialen Medien bzw. auf den eigenen Webseiten gab es im deutschen Sprachraum diesmal von mehreren Verbänden. Der Düsseldorfer Aufklärungsdienst (DA!) beteiligte sich daran ebenso wie die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg (EHBB), die Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS), die gbs Hamburg, der Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) oder die Säkulare Flüchtlingshilfe.
In Österreich hatte unter Feder­führung des Humanistischen Verbands (HVÖ) mehr als ein Dutzend Verbände eine gemeinsame Erklärung veröffent­licht. Darin gefordert „religiöse Tra­ditionen durch humanistische Werte“ zu ersetzen und den Atheist Day zum Anlass zu nehmen, über „alte Dogmen und neue Vernunft zu sprechen“. Atheist:innen seien die am schnellsten wachsende Minderheit, die sich auf zahlreiche Prominente berufen könne. Trotzdem sei in Österreich das „Outing“ bis heute nicht leicht.

Liste der säkularen Gefangenen — 23. März 2023

Mubarak Bala, Nigeria
24 Jahre Haft für „blasphemische“ Facebook-Einträge
Mubarak Bala ist Präsident der Nigerian Humanist Association. Im April 2020 wurde er aufgrund einer Anzeige wegen Blasphemie verhaftet. Fünf Monate saß er ohne Kontakt zu einer anwaltlichen Vertretung im Ge­fäng­nis, erst nach mehr als einem Jahr wurde Anklage erhoben.
Vorgeworfen werden Mubarak Bala Facebook-Posts, in denen er der Propheten Muhammad mit einem nigerianischen Tele-Evangelisten verglichen oder mit Bezug auf die Corona-Pandemie geäußert haben soll: „Allah does not exist, do not pray against Covid-19. Act against the disease“.
Vor Gericht gestellt wurde er schließlich wegen „öffentlicher Unruhestiftung“ (Abschnitte 210 und 114 des Strafgesetzbuches des Bun­desstaats Kano). Seine Facebook-Posts sollen eine Störung der öffentlichen Ordnung bewirkt haben. Am 4. April 2022 fand der Pro­zess statt. Mubarak Bala bekannt sich schuldig und wurde zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt.
Beobachter wie der bekannte nigerianische Humanist Leo Igwe – er leitet die Kampagne #FreeMubarakBala – gehen davon aus, dass Mubarak Bala genötigt wurde, sich schuldig zu bekennen und nach zwei Jahren Haft den Einschüchterungen nichts mehr entgegensetzen konnte.
Die britisch-nigerianische Journalistin Yemisi Adegoke hat einen halbstündigen Film über das Schicksal Mubarak Balas gemacht, der auf YouTube angesehen werden kann.

Othman Mohamed Lehbib, Mauretanien
Seit drei Jahren unter dem Vorwurf der „Gotteslästerung“ inhaftiert
Othman Mohamed Lehbib war in der Be­we­gung Wir wollen ein säkulares Maure­ta­nien aktiv. Aufgrund seiner Aktivitäten und seiner Stellungnahmen in den sozialen Medien, in denen er die religiöse Herrschaft in Mauretanien kritisierte, wurde er verhaftet und befindet sich seit April 2020 in Einzelhaft. Der Vorwurf lautet Gotteslästerung, was nach Artikel 306 des mauretanischen Strafgesetzbuches mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Über seinen derzeitigen Zustand gibt es derzeit keine genauen Informationen.

Mohamed Rusthum Mujuthaba 
(Rusthum Russo), Malediven

Vier Monate Haft für Kritik am Islam
Der maledivische Menschenrechtsaktivist Mohamed Rusthum Mujuthaba setzt sich untrer dem Pseudonym Rusthum Russo setzt sich in sozialen Medien für Religions- und Glaubensfreiheit. Dieses Engagement hat ihn seit Herbst 2019 mehrfach ins Gefängnis gebracht. Zuletzt wurde er am 10. August 2022 wegen „Beleidigung des Islams“ und des Besitzes von „obszönem Material“ (Sektion 617 und 622 des maledivischen Strafgesetz­buches) zu vier Monaten Haft verurteilt. Da er vor der Urteil bereits sechs Monate inhaftiert war, kam er nach dem Prozess frei.
Im November 2022 hatten UN-Vertreter, da
runter der Sonderberichterstatter für Reli­gions- und Glaubensfreiheit, in einem Schrei­ben an die maledivische Regierung ihre Be­sorgnis über die gerichtliche Verfolgung von Rusthum Russo ausgedrückt.

Youssef Mehrad & Saadullah Fazli, Iran
Todesstrafe für „Beleidigung des Propheten“
Weil sie auf einem Telegram-Kanal namens Criticism of Superstition and Religion aktiv waren, sind Youssef Mehrad und Saadullah Fazli wegen des Vorwurfs „Sab al-Nabi“ (Beleidigung des Propheten) zum Tode verurteilt worden. Zusammen mit fünf anderen Teilnehmern an besagtem Telegram-Kanal waren sie im Mai 2020 festgenommen worden. Neben zahlreichen weiteren Anklagepunkten (u.a. Bildung einer illegalen Vereinigung) wurde den Männern die Beleidigung der „Heiligtümer“ sowie des Gründers der Islamischen Republik zur Last gelegt. Während fünf der Angeklagten zu mehrjährigen Haft- und Geldstrafen verurteilt wurden, verhängte die erste Kammer des Strafgerichtshofes von Arak gegen Youssef Mehrad und Saadullah Fazli wegen einer vermeintlichen Beleidigung des Propheten im April 2021 die Todesstrafe. Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil im Juli desselben Jahres. Seitdem sitzen die beiden gewissermaßen in der Todeszelle.

Über Informationen zu weiteren Fälle freut sich Projekt 48: info@projekt-48.de.