Staat und Kirche | Veröffentlicht in MIZ 2/22 | Geschrieben von Romo Runt

Auferstanden…

Der § 166 StGB findet jetzt auch Anwendung 
gegen Kritik am Islam

Als der § 166 StGB, der „Gotteslästerungsparagraph“, noch poli­tisch umkämpft war, wurde als eines der Argumente für seine Abschaffung oft angeführt, dass die Regelung nur zugunsten des Christentums eingesetzt werde; andere Religionen oder Weltanschauuungen seien zwar vom Gesetzestext her inbegriffen, in der Realität der behördlichen Ermittlungen jedoch nicht. Das scheint sich jetzt gerade zu ändern – was aber kein Fortschritt ist, sondern eine Rolle rückwärts in die 1980er Jahre.

Damals, Kohl & Konsorten versuchten sich gerade an der „geistig-mora
­lischen Wende“, wurde der Paragraph, der die „Beschimpfung von Bekennt­nissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ verfolgt (wie juristisch korrekt zu formulieren wäre), gezielt als politischer Zensurparagraph gegen pointierte Kritik an Kirche und konservativer religiöser Lebensauffassung eingesetzt. Danach ging die Zahl der Fälle zurück, nur im Zuge der Auseinandersetzungen um den Kruzifixbeschluss des Bundes­verfassungsgerichts flackerte seine politische Bedeutung kurzzeitig noch
mal auf. Grüne und Linken-Politike­r:innen sprachen sich für die Ab­schaffung des Paragraphen aus, die Forderung fand sogar den Weg in die Bundestagswahlprogramme der beiden Parteien.

Die Stimmung schlug interessanterweise genau in dem Moment um, als wieder verstärkt gewalttätige Übergriffe gegen Religionskritik zu verzeichnen waren. So gelang es beispielsweise der Religionslobby um die damalige religionspolitische Spre­cherin der Linksfraktion Christine Buchholz durchzusetzen, dass die Partei 2017 ohne Aussage zum § 166 StGB in den Bundestagswahlkampf zog. Immer häufiger wurden nun konkrete Forderungen nach Abschaffung kirchlicher Privilegien wie des Zensur­paragraphen ersetzt durch eine abstrakte Vorstellung von „Gleichbehandlung“ – was in der Regel auf „den“ Islam bzw. „die“ Muslim:innen bezogen wird.

Tätlicher Angriff

Nun zeigt ein Urteil des Amtsgerichts Stuttgart, was diese „Gleichbehandlung“ für Religionskritik bedeutet. Ein nach Deutschland geflüchteter Iraner wurde Anfang Juli zu 30 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt. Er hatte auf einer Kundgebung zum Gedenken an den ermordeten Lehrer Samuel Paty im Oktober 2021 eine Rede gehalten. Noch während der Versammlung wurde er von einem offenbar muslimischen Passanten körperlich attackiert. Laut einer Presseerklärung des Zentralrats der Ex-Muslime gab der Angreifer noch vor Ort zu Protokoll, dass der Redner „gegen den Islam hetzte bzw. den Propheten [Mohammed] beleidigte“.

Daraufhin begann die Polizei mit Ermittlungen. Da die Kundgebung im Rahmen der polizeilichen Video­überwachung aufgezeichnet worden war, wurde der in persischer Sprache gehaltene Redebeitrag übersetzt. Dabei soll sich ergeben habe, dass der Redner Mohammed als „pädophil, Vergewaltiger und Mörder“ bezeichnet und zudem behauptet habe, dass „Frauenvergewaltigung und Verheiratung von Kindern im Islam“ erlaubt seien. Dies führte zu einem Strafbefehl über 300 Euro, gegen den der Betroffene Widerspruch einlegte.

Faktencheck

Dass die Verheiratung von Minder­jährigen von den orthodoxen islamischen Rechtsschulen anerkannt wird, dürfte unstrittig sein. Einschränkende Regelungen existieren zwar in vielen islamisch geprägten Ländern, sind aber auf die weltliche Gesetzgebung zurückzuführen.

Bei der „Frauenvergewaltigung“ liegt der Fall nicht ganz so einfach. Aber es gibt unzählige Berichte, dass in Staaten, in denen die Scharia Teil des Rechtssystems ist, Vergewaltiger kaum Strafverfolgung fürchten müssen, häufig sogar die Frauen wegen „außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ belangt werden. Zudem gibt es keinerlei Schutz vor Vergewaltigung in der Ehe. Die Behauptung weist also eine ausreichend große Schnittmenge it der Realität auf, sodass auch sie nicht als „Beschimpfung“ gewertet werden dürfte.

Aussagen über Mohammed sind schwer zu verifizieren. Viele Quellen wurden lange Zeit mündlich tradiert und erst nach Jahrhunderten niedergeschrieben, folglich kann nur bedingt gesagt werden, was daran historische Wahrheit und was Legendenbildung ist. Für unseren Fall halte ich es allerdings für legitim, den Koran und die anerkannten Überlieferungen als Belegstellen heranzuziehen. Denn religiöse Menschen, und um deren Empfinden geht es beim § 166 StGB, messen den heiligen bzw. „kanonisierten“ Büchern große Bedeutung bei. Wenn die fraglichen Aussagen über Mohammed sich dort finden ließen, sollten sie diese nicht als Beschimpfung empfinden.

Als Mohammed Aischa heiratete und die Ehe vollzog, war diese neun Jahre, nach anderen Quellen 14 Jahre alt. Nach heutigen Maßstäben ist es völlig legitim, die Ehe eines Kindes mit einem erwachsenen Mann abzulehnen. Da Mohammed Aischa als seine „Lieblingsfrau“ ansah und es keinen nachvollziehbaren politischen Grund für die Heirat gab (Aischa war die Tochter von Mohammeds Gefolgsmann Abu Bakr), ist der Pädophilie-Vorwurf zumindest nicht von der Hand zu weisen, sollte jedenfalls von der Meinungsfreiheit gedeckt sein.

In der langen Liste von Mohammeds Frauen finden sich mehrere, die er sich als „Kriegsbeute“ genommen hatte: Dschuwayriyah, Rayhana oder Safiyya (von letzterer heißt es, er habe ihren Vater vor ihren Augen töten lassen). Dass der Geschlechtsverkehr mit Frauen, die im Zuge eines Krieges „erbeutet“ wurden, als einvernehmlich anzusehen ist, ist eine sehr fragwürdige Auffassung. Insofern ist auch die Bezeichnung „Vergewaltiger“ eine legitime Interpretation dessen, was über den „Propheten“ berichtet wird.

Eigenhändig ermordet hat Moham­med offenbar niemanden. Allerdings hat er einige Morde an politischen Gegnern in Auftrag gegeben (Kaab ibn al-Ashraf oder Abu Afak) und die Tötung von Kriegsgefangenen befohlen. Da es üblich ist, Herrscher auch dann „Mörder“ zu nennen, wenn sie nicht selbst töten, sondern Untergebene veranlassen, dies zu tun, erscheint auch die Bewertung als „Mörder“ im Rahmen des politischen Meinungsstreits als zulässig.

Politische Justiz

Da die fünf strittigen Behauptungen sämtlich zwar pointiert formuliert sind, aber doch auf gesellschaftliche Realität bzw. historisches Geschehen verweisen, geht es weniger um die Frage, ob hier eine „Beschimpfung“ vorliegt oder nicht, sondern um die generelle Definitionsmacht, wie über Religion gesprochen werden darf. Denn hier gehen die Bewertungen zwangsläufig oft auseinander: Was für den einen ein Mord ist, erscheint dem anderen als ein zur Verbreitung des wahren Glaubens legitimer Schritt, nämlich einem ungläubigen Spötter das Maul zu stopfen (Abu Afak war nicht zum Islam übergetreten und hatte ein Spottgedicht auf Mohammed verfasst). Das Stuttgarter Amtsgericht hat mit seinem Urteil klargestellt, dass nach seiner Auffassung zukünftig nur noch letztere Interpretation des Geschehens erlaubt sein soll.

Stellt sich die Frage, warum das Stuttgarter Urteil in dieser Form ergangen ist. Eine Antwort könnte sein, dass der § 166 StGB gerade seine Auferstehung als politischer Zensur­paragraph erlebt. Denn auch in den 1980er Jahren gab es Urteile, die sich mit Tatsachen nicht lange aufhielten; in einem Fall wurde den Verurteilten sogar die Erwähnung des Reichskonkordates vom Gericht als „besonders schimpfliches Verhalten“ ausgelegt. Und auch in den 1980er Jahren fanden die § 166 StGB-Verfahren im Rahmen politischer Bemühungen statt, gesellschaftliche Entwicklungen aufzuhalten bzw. zurückzudrehen. Daran arbeiten derzeit auch Kohls „Enkel“, die sich längst nicht mehr nur in der CDU finden.

Informationen

Die Informationen zur Rolle der Frau im Islam sowie zu Mohammeds berichteter Einstellung zu Krieg und Gewalt sind entnommen:

İlhan Arsel: „Frauen sind eure Äcker“. Frauen im islamischen Recht. Übersetzt und herausgegeben von Arzu Toker. Zweite, erweiterte Auflage 2018.
Ali Dashti: 23 Jahre. Die Karriere des Propheten Muhammad. Übersetzt, überarbeitet und herausgegeben von Bahram Choubine und Judith West. Dritte, durchgesehene Auflage 2003.