Auf ihrer zweiten Vollversammlung in Köln haben die säkularen Grünen im März ein „Selbstverständnis“ verab schiedet und die politischen Schwerpunkte fürs Wahljahr abgestimmt. Zentrales gemeinsames Ziel ist, die „Trennung von Kirche und Staat weiter voranzubringen“. Als exklusive Interessenvertretung der Konfessionslosen versteht sich der Arbeitskreis nicht; die Trennung von Religion und Politik ist durchaus auch Anliegen religiöser Bürgerinnen und Bürger. Dieser politische, nicht weltanschauliche Zugang zum Thema spiegelt sich auch in der Mitgliedschaft.
An der Vollversammlung des Bundesweiten Arbeitskreises nahmen etwa 50 Mitglieder teil, das ist etwa ein Viertel derjenigen, die sich seit Januar in die entsprechende Mailingliste eingetragen hatten. Dabei zeigte sich ein deutliches Übergewicht der Gebiete, in denen die katholische Kirche bestimmend ist; aus Nord- und Ostdeutschland waren nur wenige „Säkularis“ angereist. Der SprecherInnenkreis hingegen repräsentiert auch letztere Regionen: Diana Siebert (Nordrhein-Westfalen), Mariana Pinzón Becht (Baden-Württemberg), Gislinde Nauy (Bremen), Walter Otte (Berlin) und Rahim Schmidt (Rheinland-Pfalz) vertreten die säkularen Grünen nach außen.
Werteorientierung kein Monopol der Religionen
Die Bundestagsabgeordnete Katja Dörner ging in ihrem Grußwort auf das Problem ein, dass den Kirchen oder religiösen Menschen eine besondere Kompetenz zugewiesen wird, wenn es um Werte geht. Auch innerhalb der Grünen werde diese Vorstellung manchmal unreflektiert bedient. So seien die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl mit unterschiedlichen Kompetenzen vorgestellt worden: Jürgen Trittin als der Wirtschaftsfachmann und die in der EKD aktive Katrin Göring-Eckardt als zuständig für „werteorientierte Politik“. Eine solche Zuordnung wies Dörner zurück und betonte, dass in Bündnis 90/Die Grünen alle politisch Aktiven für Werteorientierung in der Politik stehen, dies sei kein Monopol religiöser Parteimitglieder.
Aus anderen Redebeiträgen ging hervor, dass die grüne Spitzenkandidatin wie auch der kirchenpolitische Sprecher Josef Winkler in der Partei durchaus als Kirchenlobbyisten wahrgenommen werden, die nicht die Haltung der Gesamtpartei repräsentieren. Insofern ist die Gründung des säkularen Arbeitskreises wohl auch als Signal an jene Wählerschichten zu verstehen, denen der Einfluss der Religionsgemeinschaften auf die Politik missfällt.
Die anschließenden Berichte aus den Bundesländern zeigten, dass innerhalb der Partei großes Interesse am Themenkomplex besteht. Obwohl der Arbeitskreis noch keine drei Monate besteht, sind bereits regionale Strukturen entstanden, in Nordrhein-Westfalen ist die AG sogar schon als offizieller Arbeitskreis des grünen Landesverbandes anerkannt. Der Status einer Bundesarbeitsgemeinschaft wird auch auf Bundesebene angestrebt.
Im Mittelpunkt der Versammlung stand die Verabschiedung eines „Selbst verständnisses“. Darin wird über das Selbstverständnis im engeren Sinne hinaus auch festgehalten, in welchen Fragen „Klärungs- und Änderungsbedarf“ gesehen wird (eine Liste mit immerhin 30 Punkten) und welche politischen Forderungen an Religionsgemeinschaften zu stellen wären.
Eine kontroverse Debatte gab es über die Frage, ob sich der Arbeitskreis als solcher überhaupt religionskritisch positionieren sollte. Nachdem hier zwei Änderungsanträge intensiv erörtert worden waren, setzte sich dann doch der Ansatz des SprecherInnenkreises durch: „Als GRÜN orientierter Arbeitskreis wollen wir bei Konfessionsfreien wie Religiösen eine an Menschenrechten orientierte Praxis einfordern. Wir fordern daher die Religionsgemeinschaften auf, Traditionen, Praktiken und Rituale, die mit humanistischen Werten, Menschenrechten und demokratischen Selbstverständlichkeiten kollidieren, kritisch zu reflektieren und sich einer öffentlichen Diskussion hierzu nicht zu entziehen. Diejenigen, die diese Reflexion innerhalb der Religionsgemeinschaften voranbringen, sehen wir als unsere Bündnispartner.“
Änderungsanträge zum Bundeswahlprogramm
Als konkrete politische Schritte wurden Änderungsanträge zum Entwurf des grünen Bundestagswahlprogramms erarbeitet. Dabei ging es um die Beendigung von Staatsleistungen an die christlichen Großkirchen, die Abschaffung des § 166 StGB sowie das „Kirchliche Arbeitsrecht“. Zu letzterem gab es zu Beginn der Veranstaltung einen Vortrag von Vera Muth, der Koordinatorin der Kampagne Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz (GerDiA). Sie stellte die Arbeit der Kampagne vor, erläuterte zentrale Begriffe wie „Dienstgemeinschaft“, „Dritter Weg“ und „Tendenzschutz“ und zeigte anhand einiger „Rechtlicher Meilensteine“, wie sich das besondere kirchliche Arbeitsrecht in der Bundesrepublik entfalten konnte.
Im Antrag an die Bundesdelegiertenkonferenz findet sich die Forderung „für sämtliche Beschäftigungsverhält nisse jenseits des Bereichs der ‘Verkündigung’ das kirchliche Arbeitsrecht“ abzuschaffen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz müsse dahingehend abgeändert werden, dass eine Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit nicht mehr möglich sei. Auch die Bildung von Betriebsräten soll zukünftig im Bereich kirchlicher Einrichtungen möglich sein; ebenso sollen die Beschäftigten das Streikrecht zugesprochen bekommen.
Nach sieben Stunden konzentrierten Arbeitens hatten sich die säkularen Grünen positioniert. Mariana Pinzón vom SprecherInnenkreis war dementsprechend zufrieden mit der Vollversammlung. „Mit den verabschiedeten Änderungsanträgen zum Wahlprogramm haben wir uns gut aufgestellt und sind motiviert, für unsere Positionen einzutreten“, meinte sie im Anschluss an das Treffen. Für die Interessenvertretungen der Konfessionslosen gibt es nun, nach den laizistischen Sozialdemokraten und den Laizisten in der Linken, einen weiteren Ansprechpartner auf Parteiebene.
Auf der Webseite http://saekulare-gruene.de/ finden sich aktuelle Informationen und Hinweise zu regionalen Strukturen.
Wer das Selbstverständnispapier im Detail nachlesen möchte, findet es unter: http://saekulare-gruene.de/?page_id=288
Informationen: „Selbstverständnis“ der Säkularen Grünen (Auszug)
Bereiche, in denen wir gegenwärtig unter anderem Klärungs- und Änderungsbedarf sehen:
- besonderes Arbeitsrecht in Betrieben, die sich in kirchlicher Trägerschaft befinden
- kirchliche Trägerschaft von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen
- die Ignorierung des Verfassungsgebotes zur Ablösung der Staatsleistungen
Ethik- und/oder Religionskundeunterricht in staatlichen und staatlich geförderten Schulen versus konfessionellem Religionsunterricht - glaubensgemeinschaftliche Einflussnahme auf Ausbildungs- und Berufungsordnungen für theologische und nicht-theologische Lehrstühle an staatlichen Hochschulen
- die umstrittene Präsenz religiöser Symbole in staatlichen bzw. kommunalen Einrichtungen, sowohl in den Räumen als auch am Körper all jener Personen, zu deren Pflichten es gehört, sich in solchen Einrichtungen in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben aufzuhalten (inkl. Schülerinnen und Schüler)
- VertreterInnen von Religionsgemeinschaften in Rundfunkräten und deren Überrepräsentation in Ethikräten
Kirchensteuereinzug über die öffentliche Hand - Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts
- das Reichskonkordat
- die automatische Ernennung des apostolischen Nuntius als Doyen des diplomatischen Korps in Deutschland
- die Einstufung des Heiligen Stuhls als Völkerrechtssubjekt
- die Staatskirchenverträge und Staatsverträge mit muslimischen und anderen Religionsverbänden
- „Ehrfurcht vor Gott“ als staatliches Erziehungsziel in öffentlichen Schulen
- die Strafbarkeit sogenannter Gotteslästerung (§166 und §167 im StGB)
- Aufführungs- und Tanzveranstaltungsverbote sowie Versammlungs- und Demonstrationsverbote an staatlich sanktionierten Feiertagen
- Tendenzen zur Aushöhlung der demokratisch und rechtsstaatlich legitimierten Justiz durch Kirchenrecht und Schariavorstellungen
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